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Eine aus den Fugen geratene Gesellschaft turnt auf der Rampe des Lebens: Auf dem Weg nach oben machen sie sich dreckig.


Foto: Didier Grappe, Impulstanz

Wien – "Orgien! Orgien! Wir wollen Orgien!", rief der mollige Schauspieler inbrünstig gestikulierend – damals bei Asterix, als Gallien noch eine römische Kolonie war. "La vie est une fête" oder "Life is a party" ist das entsprechende Motto der Spaßgesellschaft von heute. Den Abgrund dahinter macht auch BiT sichtbar, die jüngste Arbeit der brillanten französischen Choreografin Maguy Marin (65). Mit BiT eröffnete das Festival Impulstanz am Donnerstag die diesjährige Ausgabe.

Der "Orgien"-Ruf stammt aus Asterix und der Kupferkessel (1969), das eine Satire auf das "Wirklichkeitstheater" in den Sixties des vorigen Jahrhunderts enthält. Im Asterix-Comic lässt sich die schicke Zuschauerschaft aus römischen Kolonialisten mit genüsslichem Schaudern von der Bühne herab anpöbeln. Peter Handkes Publikumsbeschimpfung wurde 1966 uraufgeführt – die kleine Satire von Albert Uderzo und René Goscinny zielte also auf die damalige Kulturgesellschaft.

Ein halbes Jahrhundert nach Handkes Provokation zeigt Maguy Marin ihrem Publikum im Zeitraffer, was es mit "la vie est une fête", den "Orgien" der Gegenwart, auf sich hat. In BiT ist das Leben eine – ums mit einem Stücktitel von Wolfgang Bauer aus dem Jahr 1964 zu sagen – Party for Six.

Drei Frauen und drei Männer erblicken zu Klängen, die auch einen Horrorfilm untermalen könnten, das spärliche Licht der Bühne. In einem Set aus sechs übermannshohen Rampen tanzen sie einen verfremdeten Volkstanz, der an die französische Fandarole erinnert. Der Sound wird anfangs von Geschrei und einer Männerstimme (Carmelo Bene) untermalt, die auf Italienisch Verse aus Dantes Paradiso, dem Schlussteil der Divina Commedia, zitiert.

Während die sechs Durchschnittstypen fröhlich Hand in Hand tanzen, entfesselt der junge Komponist Charlie Aubry einen Sturm aus Technorhythmen. Techno ist ein Volkstanz der "Life is a party"-Kultur des postindustriellen Zeitalters. Schnell verwandelt sich das lustige Paradies in ein lüsternes Inferno.

Der Sound eines Flugzeugtriebwerks donnert und pfeift über die Bühne. Ein Mann bedrängt eine Frau. Die erst heitere kleine Gesellschaft gerät aus den Fugen, rutscht halb entkleidet eine der Rampen herunter, treibt kalten, grotesken Gruppensex. Das Sextett verwandelt sich erst in über den Boden krabbelnde Reptilien, dann in mit Kutten und Masken verhüllte Gestalten, die eine rituelle Gangbang-Vergewaltigung absolvieren.

Mondäne Spaßmaschinen

Danach haben sich die Durchschnittsleute zu elegant wirken wollenden Erscheinungen gemausert. Ihre Party ist zur Norm geworden. In billig wirkender mondäner Kleidung tanzen diese eingefleischten Spaßmaschinen wieder ihre Pseudo-Fandarole. Wieder ein sexueller Übergriff. Krampfhaft versuchen sie, ihre Lebensrampen hinaufzukriechen. Auf dem Weg nach oben machen sie sich dreckig.

Von solcher Karriere spricht schon bei Agrippus Virus, in Asterix bei den Schweizern der dekadente Statthalter von Condate (Rennes): "Mein Leben wird eine einzige Orgie sein!" Die Dauerparty führt ihn in den Zirkus von Rom. Maguy Marins Sechserparty endet im Nirgendwo. Das teils elegante, teils junge Publikum im Volkstheater fühlte sich vielleicht angesprochen. Der Applaus jedenfalls klang verunsichert. (Helmut Ploebst, 15.7.2016)