Der spanische Flamenco-Tänzer Israel Galván überwindet bei Impulstanz im Wiener Volkstheater die steifen Vorgaben des Genres mit den Mitteln des Humors.

Foto: Hugo Gumiel

Wien – Der "Bailaor" betritt die Bühne. Sein Haar pickt perfekt im Gel, seine Haltung entspricht der eines Flamencotänzers, und er hat eine weiße Schürze umgebunden. So fängt der Abend Fla.Co.Men des exaltiertesten unter den Herrengrößen des Flamenco auf diesem Planeten an: Israel Galván de los Reyes (43) serviert sich bei Impulstanz im Volkstheater.

Ist es noch eine Küchen- oder schon eine Fleischerschürze? Oder meint Galván ein blütenreines Papier, das erst noch schön angepatzt werden muss, wenn er in so untypischem Aufzug zu einem Notenständer tritt? Vor diesem zeigt er, dass er den Flamenco vom Blatt lesen kann, und zugleich, dass er die Vorschriften des traditionellen Flamenco nicht ganz ernst nimmt.

Überschreitung der Folklore

Ernst wie etwa in Pedro Almodóvars Film La flor de mi secreto (Mein blühendes Geheimnis, 1995). Dessen flammendes Flamenco-Duett von Manuela Vargas und Joaquín Cortés ist so bekannt wie die darin angerissene Geschichte einer Frau, die ihren Gatten tötet und die Leiche in der Gefriertruhe eines Restaurants lagert. Bei Fla.Co.Men kann man raten, ob Galváns Schürze wohl eine Anspielung darauf ist.

Das wäre zwar queer, aber Queerness passt zu dieser Show des in Sevilla als Kind zweier Flamenco-Größen geborenen Künstlers. Erstens überschreitet Galván generell so ziemlich alles, was der Folklore entspricht, und zweitens mischt er hier männliche und weibliche Klischees. Er wechselt anfangs von der Schürze zum Korsett, und am Schluss verabschiedet er in einem weißen Kleid mit roten Punkten sein begeistertes Publikum.

Hier passiert nicht Genderdiskurs auf theoriegebeizter Bühne, sondern vor allem ein Schmäh. Den leistet sich Galván, weil er so gut kann, was er schon sein Leben lang tut, dass ihm das übliche Auftrumpfen in der Rolle des Flamenco-Bailaor fad ist. Dort, wo ein Joaquín Cortés seine Meisterschaft behauptet, fängt Israel Galván erst an. Dabei wird schnell klar, dass er Spaß mit dem Flamenco hat, aber sich nicht über ihn lustig macht.

Er wandelt die charakteristischen Arm- und Handbewegungen des Flamenco ab, und seine Sohlen rattern über den Boden, egal, ob der Meister dabei nun steht oder sitzt oder liegt. Zusammen mit seiner Combo, die sich nach dem Einstieg langsam einfindet, macht Galván das Tanzen zum Perkussionsereignis. Er dekliniert die komplizierten Flamenco-Rhythmen zusammen mit Marimba-, Kesselpauken- und Cajón-Wirbeln (Antonio Moreno) durch, tanzt auf mikrofonunterlegten Platten, der hölzernen Cajón-Kiste und in einer Wanne voller Münzen.

Im Lauf der Show büxt er aus, führt die Perkussion im Publikumsraum, auf und hinter der Tribüne, fort. Dann wieder setzt er sich seitlich ins Proszenium und lässt einige Zeit den Herrgott einen guten Mann sein, während leise zu hören ist, wie hinter der menschenfreien Bühne ein Radio spielt. Aber das nur, um sich anschließend mit den beiden Sängern der Musikergruppe, David Lagos und Tomás de Perrate, zu messen. Was nicht ohne Identitätswitz abgeht. Galván fragt Lagos: "I am the Gypsy?" Der kostet ein Zögern aus und bestätigt ironisch: "Yes, you are."

Damit erinnert Galván daran, dass hinter der Bezeichnung Gypsy, zu Deutsch Zigeuner, auch ein Stolz lag und dass das Zigane von einer Aura des Ungebundenseins umgeben war. Andererseits hat sich Israel Galván in einer früheren Arbeit explizit mit dem Missbrauch der Zigeunerromantik auseinandergesetzt.

Freiwillig komisch

Das war im Jahr 2012 bei Lo Real / Le Réel / The Real, einer Auftragsarbeit von Gerard Mortier, damals Leiter des Madrider Teatro Real. Ein Flamenco, destilliert aus Leni Riefenstahls NS-Propagandafilm Tiefland, der 1940 bis 1944 gedreht und 1954 (!) uraufgeführt wurde. Für Tiefland hatte sich Riefenstahl mehr als hundert Roma aus dem "Zigeunerlager Maxglan" bei Salzburg herankarren lassen. In Madrid verursachte die Verbindung zwischen Flamenco und Nationalsozialismus einen ordentlichen Skandal – aber nur dort. Es wäre, nebenbei bemerkt, nicht schlecht, Lo Real auch einmal in Österreich zu zeigen.

Fla.Co.Men ist selbstverständlich eine Hommage an den Flamenco und seine mit der Geschichte andalusischer Roma verbundenen Entstehungslegende. Aber Galván rechnet hier mit der Hommage als solcher ab, indem er ihre steife Würde kippt. Dafür begibt er sich in allerlei freiwillig und unfreiwillig komische Situationen. Um die Showdramaturgie schert er sich nur wenig. Daher kommt Fla.Co.Men an einigen Schwachstellen auch etwas gar billig daher. (Helmut Ploebst, 21.7.2016)