Die Oper "The Exterminating Angel" begann als netter Abend, entwickelte sich aber zu einer Lagerkollerparty, bei der Unhöflichkeit handfeste Formen annahm – wie Silvia (Sally Matthews) anhand der Haarpracht von Blanca (Christine Rice) demonstriert.

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Iestyn Davies (li.) als Francisco und Frederic Antoun als Graf Raul in "The exterminating Angel" von Thomas Adès im Haus für Mozart.

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Salzburg – Zu grotesk verfremdeter Walzerseligkeit wird über Gewürze und raffinierte Soßen parliert, auch die alte Beziehung Arzt/Patientin (intensiv John Tomlinson und Anne Sofie von Otter als Leonora) wird dabei amourös vertieft. Ein entspannter Abend, man kommt einander halt näher ...

Nach einem Opernbesuch ging es ja in die Villa von Edmundo und Lucia de Nobile (Charles Workman und Amanda Echalaz), wo es für ein paar Auserwählte gilt, bei einem guten Gläschen die Diva der Aufführung, Leticia Maynar (makelloser Daueraufenthalt in hohen Regionen Audrey Luna), zu erwarten.

Seltsam nur, dass die Ankunft der Künstlerin gleich wiederholt wird; als hätte eine lästige Hand die Opernuhr zurückgedreht. Was manipulierte Zeit und verwirrte Realität anbelangt, war das allerdings nur die Vorspeise: Thomas Adès’ Neuheit The Exterminating Angel basiert auf Luis Buñuels Filmklassiker El angel extermi nador und transferiert den surrealen Duktus des Streifens konsequent in die Sphäre respektablen Musiktheaters.

Je stärker der distinguierte Konversationsabend zerbröselt, desto bewusster wird dem Grüppchen im Haus für Mozart also, dass seine Zeitpläne unbemerkt pulverisiert wurden. Niemand verlässt den Partyplatz. Niemand vermag ihn zu verlassen; die Zusammenkunft mündet in einer klaustrophoben Quarantänesituation. Die Figuren sind gefangene Gestrandete. Zusehends befallen von existenziellen Nöten, lassen sie die kommunikativen und sonstigen Alltagshüllen fallen.

Ein totes Paar

Blanca (eindringlich Christine Rice), die zunächst noch am Klavier der lauschenden Runde poetisch-versonnen die Zeit vertrieb, bricht auseinander. Sie rettet sich, recht endzeitlich gestimmt, in groteske Haarpflegerituale. Eduardo (Ed Lyon) und Beatriz (Sophie Bevan) werden tot aufgefunden. Und auch der angeschlagene Herr Russel (Sten Byriel) wird zum Todesfall, nachdem er sein Glück bekundet hatte, nicht Zeuge "der Vernichtung" sein zu müssen.

Silvia (imposant Sally Matthews) findet das längst nicht mehr komisch. Hunger, Durst und Ängste quälen sie wie die gesamte Runde. Statt die Schwelle nach draußen zu überschreiten, bohren sie Bodenlöcher, um Wasserquellen zu erschließen oder ersinnen Rituale. Es sind Mächte zu besänftigen. Und wer vor kurzem noch zarte Klaviermusik genoss, fordert plötzlich "reines Blut" und schließlich ein Menschenopfer.

Allgemeines Chaos

Regisseur und Librettist John Cairns entwirft ein präzises, allerdings nie extrem unmittelbares endzeitliches Kammerstück, das den Teilnehmern des ramponierten Diners auch nach dem schließlichen Verlassen der Villa statt Erlösung nur die Begegnung mit dem allgemeinen Straßenchaos gönnt. Unweigerlich erinnert es an Momente der Gegenwart.

Das szenische Crescendo der kulturellen Regression endet auch musikalisch düster. Adès, der das klangsensible, facettenreiche Radio Symphonieorchester Wien selbst dirigiert, setzt im Grunde aber auf eine polyglotte verbindliche Klangsprache. Mit ihrem Changieren zwischen leicht gruseliger Lyrik (verstärkt durch Einsatz der Ondes Martenot, eines elektronischen Instruments, das etwa so poetisch klingt wie ein Theremin) und deftigen perkussiven Zuspitzungen hält sie die Spannung einigermaßen aufrecht.

Der Vertreter einer zugänglichen Moderne übermalt das Geschehen letztlich mit gänzlich unterschiedlichen Ausdrucksvaleurs: Glockenspiele sind ebenso Teil seines Kosmos wie hämmernde Strukturen, massige, blockhaft verrückte Harmonik und mit episch langen Tönen ausgestattete Kantilenen.

Eine subtile Auslegung des diesem Stück innewohnenden Rätsels, dieser Atmosphäre der Ausweglosigkeit opfert Ades allerdings öfters einer dem Grellen verpflichteten Kontrastkunst.

Immerhin eine Neuheit von respektabler Machart. Es schien zwar, dass eine etwas kürzere Fassung (und ohne Pause) dieses Stück der zerfallenden inneren und äußeren Zivilisation mehr Kompaktheit und Innenspannung verliehen hätte. Dennoch gab es – zu Recht – Applaus für das sehr gute Gesamtensemble und Standig Ovations für Adès. Dessen Werk ist in Koproduktion mit London, New York und Kopenhagen entstanden und also mit einer Garantie für ein gewisses Weiterleben nach der Geburt ausgestattet. (Ljubiša Tošić, 29.7.2016)