Wien – Wie schaut die Kunst durch die Zitrone betrachtet aus? Diesem Problem hat sich die aus Japan stammende, seit 25 Jahren in Wien lebende Choreografin Akemi Takeya in ihrer Performance Lemonism x Actionism bereits bei Impulstanz 2015 gestellt. In der aktuellen Festival-Ausgabe quetscht sie es bis zum vorletzten Tropfen aus.

Der erste von drei Teilen dieser Entsaftung war am Donnerstag zu sehen: Lemonism x Japonism & Minimalism. Die Soloperformance der Künstlerin in einem Zitronenkreis mit Text, Musik und Video- beziehungsweise Fotoprojektionen hatte im Tiefgeschoß der Leopold Museums einen – abgesehen von der Akustik – idealen Raum. Anders als in ihrem Aktionismus-Projekt wirkte Takeya jetzt von der Komplexität ihrer Aufgabe überfordert.

Gleich zwei große Kunstthemen – den Japonismus im Fin de Siècle und den Minimalismus der 1960er – zu vermischen, ist halt nicht einfach. Vor allem, wenn auch noch Tatsumi Hijikatas Butô-Tanz dazukommt und das Ganze durch Takeyas Selbstreflexion und aphoristische Körperphilosophie gepresst wird. Am Samstag gibt es noch eine Zusammenführung von Japonismus und Symbolismus und am Montag die Reprise der Aktionismus-Performance vom Vorjahr.

Siebe der Kunst

Kunstgeschichtler könnten an diesen Demontagen der schönen Ismen-Systematik etwas säuerlich werden, für das Publikum aber ist Akemi Takeyas große Geste interessant: Es kann an einem exemplarischen Fall beobachten, was geschieht, wenn Kunst nicht durch die Filter der Wissenschaft, sondern durch die Siebe der Kunst passiert wird.

So etwas widerfährt derzeit auch der Philosophie, die seit Jahren eine Blüte erfährt und sich gerade vom Poststrukturalimus zu emanzipieren scheint. Dass Tanz und Philosophie gut miteinander können, hat bereits Friedrich Nietzsche vertieft. Und genau diesen Prä-Postmodernisten haben sich Regisseur Peter Stamer (der auch einmal Dramaturg des Tanzquartier Wien war) und Tänzer-Choreograf Frank Willens zur Brust genommen.

"Was ist ein Wort?"

Im Keller des Wiener Mumok zeigten sie On Truth and Lie in an Extra-Moral Sense mit Willens als Tänzer und Rezitator von Teilen aus Nietzsches Text Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn von 1873. Mit dessen Spott über die Anmaßungen des menschlichen Intellekts entert Frank Willens ein Gestell aus Holzbrettern. Die Sprache sei überschätzt und: "Was ist ein Wort? Die Abbildung eines Nervenreizes in Lauten."

Protest aus dem Publikum. Bei Friedrich Nietzsches Kritik am Menschen, der sich zum Maß aller Dinge macht, lässt Willens das Brettergestell, auf dem er balanciert, zusammenkrachen. Er bleibt standfest und zeigt, dass Nietzsches Watschen auch heute noch treffen. (Helmut Ploebst, 29.7.2016)