Nicholas Ofczarek als 'Hamm' und Michael Maertens als 'Clov' während der Fotoprobe zum Schauspiel 'Endspiel' von Samuel Beckett im Salzburger Landestheater.

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Salzburg – Den verkrüppelten Helden in Samuel Becketts Endspiel liegt nichts ferner als der Tod. Bevor es so weit ist und die Lichter unwiderruflich ausgehen, findet sich noch Zeit. Sie dauert im Salzburger Landestheater rund zweieinhalb Stunden. Das Licht erlischt allmählich. Jürgen Roses Bühnenschachtel gleitet wie von Zauberhand bewegt zurück an die Feuermauer. Tatsächlich erinnert sie an Noahs Arche. Hamm und Clov, die beiden Beckett-Narren, sind von ihrer Fron erlöst.

Hamm (Nicholas Ofczarek) hatte noch zärtlich zwei Mal "Clov!" gerufen. Regie-Altmeister Dieter Dorn hat nicht das Geringste verändert an Becketts (von Elmar Tophoven ins Deutsche übertragene) Partitur. Nur einzelne Wörter hat man nachgeschärft in Festspiel-Salzburg.

Dorn hat sich die unerhörte Freiheit genommen, Becketts Minimalismus, dieses Weniger-als-Nichts, vom Blatt zu musizieren. Gewiss bleibt hier alles beim Alten, also Absurden. Noch immer thront Hamm blind und lahm auf einem mächtigen Stuhl. Hier ist das ein weinrot gepolsterter Thronsessel, der auf Röllchen dahingleitet.

Und da ist, bald 60 Jahre nach der französischsprachigen Uraufführung von Fin de partie, Clov (Michael Maertens), Hamms fußkranker Domestik, das Findelkind als Knecht. Man ahnt lediglich, welche Malaise diese beiden Untergeher in ihrem trüben Zimmer aneinanderkettet.

Die Natur draußen hat sich zurückgebildet. Man selbst hat von seinem Gegenüber nichts mehr zu erhoffen als den schäbigsten Zeitvertreib. Also piesackt man einander nach Kräften. Der Text ist mit theologischen Erörterungen gespickt. Mit Spaß, der aus der absoluten Hoffnungslosigkeit resultiert. Beckett zeigt, was man sich alles schenken kann, wenn buchstäblich nichts mehr "geht".

Zeit der Komödie

Die unendlich kleine Spanne aber, die Hamm und Clov vom Ende trennt, ist die herrlichste Zeit. Komödienzeit! Gleich zu Beginn – die Schachtel ist leise nach vorn geglitten – hat sich Maertens als buckelnder Verwandter im Geiste der großen Stummfilmkomiker gezeigt. Als Mitgift vom Leben hat Clov eine Gelenkskrankheit mitbekommen.

Seine "Küche" liegt unter einer Falltür. Er selbst ächzt sich durch die Botengänge. Die Erkletterungen der Klappleiter, um durch eines der beiden Fensterlöcher hinaus in die fremde Ferne zu starren: Sie gleichen riskanten Besteigungen des Kilimanjaro. Dorns Beckett-Parcours ist eine Hochrisikozone. Gerade weil diese Figuren den Tod nicht mehr zu fürchten brauchen, sind sie um ihr bisschen "Nichts" furchtbar besorgt. Und doch schwingt noch in Hamms Suaden ein gaumiger Triumph mit, ein überschnappender Wahnsinn, der offenbar mit einem schwer überbietbaren Hochgefühl einhergeht.

Um was es geht? Hamm lebt hinter seinen schwarzen Blindengläsern unter der Androhung, dass Clov, sein geschundener Diener, ihn verlasse. Hamms Eltern Nell und Nagg leben, um ihre Beine verkürzt, in zwei Mülltonnen. Barbara Petritsch und der große Joachim Bißmeier tauchen wie Bibelfiguren aus ihren Blechzellen empor. Wenn die beiden einander, von Kübelrand zu Kübelrand, zu küssen trachten, ist das herzzerreißend.

Zwischen Hamm und Clov aber entspinnt sich eine im Kern unmögliche, und daher umso berührendere Liebesgeschichte. Man mag ihre Intensität an Maertens’ glühenden Augen ermessen, an der schmachvollen Scham, die diesen Clown noch im Erlebnis seiner vollkommenen Minderwertigkeit erfasst. Seinen heroischen Augenblick hat dieser Spaßmacher wider Willen, wenn er einen (vermeintlichen) Floh im Schritt seiner Hose mit Insektengift einstäubt. Von Flöhen, so lernen wir, geht die Gefahr aus, dass von ihnen ein neuer Prozess hin zur Menschwerdung angestoßen werden könnte...

Erstarrung zu Blei

Ofczarek ist sichtlich beim Vater Ubu in die Schule gegangen. Beide eint eine Liebesfähigkeit, die inmitten der allgegenwärtigen Bedrängnis durch das Nichts matt wird und erstarrt, wie draußen die Wellen des Meers: zu Blei. Wollte man Dorns Herangehensweise an diesen großen Theaterabend beschreiben, man müsste sagen: So wie er seinen Beckett, so las früher vielleicht Nikolaus Harnoncourt seinen Beethoven. "Werktreue", dieser hermeneutisch so hochproblematische Begriff, ist etwas für Meister. Man verfolgt den Text bis in alle Winkel, und er beschenkt einen mit Leichtigkeit. Das Publikum überschüttete das Beckett-Hochamt, das im Herbst nach Wien wandert, mit frenetischem Applaus. (Ronald Pohl, 30.7.2016)