Junge Syrer beim AMS-Kompetenzcheck in Wien. Fast 17.000 Asylberechtigte sind derzeit in Wien ohne Job, darunter viele junge Flüchtlinge.

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Sie macht immer wieder ratlos, die Politik. Warum müssen Probleme eskalieren, warum muss das System an die Wand fahren, ehe Lösungen gesucht werden? Erst wenn der Karren knapp davor ist, aus der Kurve zu fliegen, greifen Politiker – vielleicht – ins Steuer. Kommt drauf an, wer dabei profitiert, man selbst oder die mitfahrende Partei.

Warum, so muss man jetzt auch konkret in der unsäglich unsachlich diskutierten Problematik der Abwanderung vieler Flüchtlinge aus den Bundesländern nach Wien fragen, warum greift hier nicht irgendwer endlich ohne ideologische und parteipolitische Verblendung regulierend ein?

Jeder weiß Bescheid, jeder wartet ab, was der andere vorhat. Und da niemand etwas plant, rührt sich nichts, und Wien rutscht zusehend weiter in eine prekäre Situation. Es besteht kein Zweifel, dass ein Gutteil der Flüchtlinge, sobald sie einen positiven Asylbescheid in Händen haben, nach Wien zieht. Wegen vermeintlich günstigerer Arbeits- und Wohnbedingungen und wohl auch wegen besserer sozialer Leistungen wie der Mindestsicherung, die hier sehr rasch gewährt wird. In den Ländern müssen Flüchtlinge in der Regel die vier Monate abwarten, in denen die Grundsicherung noch gilt. Was diese Entwicklung für Wien – auch – bedeutet: Fast 17.000 Asylberechtigte sind derzeit in Wien ohne Job, darunter viele junge Flüchtlinge. Eine sozialpolitisch und budgetär enorme Herausforderung.

Weil aber weder von der Wiener Stadtregierung noch von den anderen Landesregierungen eine sachliche Debatte geführt wird, wie die Flüchtlingswanderungen in sinnvolle Bahnen gelenkt werden können, überlässt man es wieder jenen in der ÖVP und FPÖ, das Wort zu führen, deren Lösung darin besteht, die Leistungen für die Flüchtlinge zu kürzen. Weniger Geld, weniger Probleme. Und dazu noch ein bissl Neidreflexe wecken und die ganze Problematik auf Bassenastreitniveau herunterbrechen.

In den Bundesländern weiß man natürlich um die Problematik, hält sich aber nobel zurück, denn insgeheim ist man ja froh, wenn die Flüchtlinge wegziehen. Weniger Kosten, weniger Integrationsbedarf, weniger Wickel in den Gemeinden. Sollen es die Wiener schaukeln. Unterdessen beschließen einige Länder, jedes für sich, eigene Regeln. Man kürzt die Sozialleistungen, um noch mehr Flüchtlinge in Richtung Wien zu treiben.

Es ist im Grunde unverantwortlich, dass die Sozialreferenten der Länder – fast allesamt von der SPÖ – nicht willens oder in der Lage sind, endlich für einheitliche Standards der Leistungen für Flüchtlinge zu sorgen, um die innerstaatlichen Wanderbewegungen in den Griff zu bekommen. Und es müsste wohl auch möglich sein, gemeinsam mit Wien ein humanes System zu schaffen, das es mehr Flüchtlingen ermöglicht, auch in den Bundesländern, in Landstrichen, die ohnehin unter Abwanderung leiden, Fuß zu fassen. Die Industrie benötigt in den Regionen dringend Lehrlinge. Ihnen und ihren Familien müssten Anreize gegeben werden zu bleiben. In letzter Konsequenz ist natürlich auch eine "Wohnsitzauflage" mit klaren Zuteilungen zu diskutieren. Aber dazu müssten sich erst einmal alle Beteiligten an einen Tisch setzen.

Es ist halt einfacher, außerhalb der Landesgrenzen das große Wort zu führen und von Europa eine gerechte Aufteilung der Flüchtlinge zu fordern – als im eigenen Land dafür zu sorgen. (Walter Müller, 10.8.2016)