Regisseur und Autor Peter Lund.

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STANDARD: Herr Lund, was kann die Operette, was können Show und Musical, was andere Musiktheaterformen nicht können?

Lund: Im besten Fall ist die Operette für mich das hellsichtigste Medium, wenn es darum geht, die Vergeblichkeit unserer Mühen auf dieser Welt mit Witz und Intelligenz auf den Punkt zu bringen. Das war schon immer die Aufgabe der Komödie, aber die Musik addiert noch einmal das Quäntchen Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies dazu, das mir persönlich immer die Träne ins Knopfloch treibt, wegen der ich ins Theater gehe. Und so gerne dort arbeite.

STANDARD: Wieso hat Sie Ihr Weg in die sogenannten "leichten" Genres geführt?

Lund: Ich habe gar nicht bemerkt, dass mein Weg mich zur leichten Muse geführt hat. In meiner Heimatstadt Flensburg hatten wir ein klassisches Dreispartentheater, das sich aufgrund seiner Größe naturgegebenermaßen mit Mozart, Lortzing und Millöcker leichter tat als mit Wagner. Von daher wurde meine Liebe zur Oper auch gleichzeitig eine große Liebe zur Operette. Der Übergang vom Singen zum Sprechen hat mich schon immer fasziniert. Und der hat mich dann auch ganz automatisch zum Musical gebracht.

STANDARD: Operette und besonders Musical sind Gattungen, die in der Regel arbeitsteilig entstehen. Bei Ihnen fließen Autorschaft und Regie wieder zusammen – was sind die Vorteile?

Lund: Es stimmt schon: Das Musical und die Operette haben meistens mehrere Väter. Die amerikanischen Teams sind aber auch daran gewöhnt, miteinander zu arbeiten und vor allem einander zuzuhören. Wir mit unserem deutschen Geniebegriff tun uns bei der kollektiven Kunstschaffung eher schwer. Regie, Autor und Komponist laufen sich im deutschen Stadttheater im Idealfall ja nicht allzu oft über den Weg – so ist die für das Musical nötige Verzahnung von Text, Musik, Szene und Tanz aber nicht herzustellen. Ich persönlich hatte jetzt gerade beide Erfahrungen: als "Nur"-Autor mit einem kongenialen Regisseur in Berlin und als Autorenregisseur hier in Wien. Wobei man auch in der Personalunion im Musiktheater ja immer zusammenarbeitet, wie bei unserem "Axel" jetzt mit dem wunderbaren Arrangeur Kai Tietje. Und als Regisseur bin ich sowieso eingebunden in das künstlerische Leitungsteam.

STANDARD: Können Sie den Zusammenhang von Stückbearbeitung und Inszenierung anhand von "Axel an der Himmelstür" erläutern?

Lund: Die Bearbeitung ist in diesem Fall im Grunde ein Teil der Regiearbeit. Bei "Axel" war die Notwendigkeit einer Bearbeitung sehr schnell klar. Das Werk hatte gleich beim ersten Lesen und Hören einige Probleme in der Proportion: eine schöne und auch tragfähige Grundidee und ein paar sehr interessante musikalische Szenen, die schon in Richtung Musical weisen. Auf der anderen Seite die Solisten sehr einseitig herausgestellt, das personell sehr große Ensemble dafür kaum genutzt, einige Figuren dramaturgisch nicht zu Ende erzählt und das ganze Stück für seinen charmanten, aber kleinen Plot mit fünf großen Bühnenbildern im Grunde unangemessen üppig ausgestattet.

STANDARD: Wenn eine solche Bearbeitung nötig ist, heißt das, diese Operette ist stark zeitgebunden und wäre aus ihrem Kontext heraus heute nicht mehr ohne weiteres verständlich?

Lund: Verstehen würde man das originale Stück sicher auch heute noch. Es hätte nur einige für unsere heutigen Sehgewohnheiten unnötige Längen und dramaturgische Durchhänger. Das Stück war halt ein Starvehikel für den großartigen Max Hansen und der Durchbruch für die damals wenig bekleidete Zarah Leander. Zudem war es auch der Versuch, es mit dem neuen Konkurrenten Film aufzunehmen – ein Kampf, den die Operette, wie wir mittlerweile ja wissen, leider verloren hat. Wir haben dieses scheinbare Manko ganz offensiv auf die Bühne gestellt und damit eine große Leichtigkeit gewonnen. Mit einer weißen Leinwand, vier tollen Solisten und fünf Hollywood-Harmonists erzählen wir das ganze Stück, und plötzlich rutscht alles an den rechten Platz. Hoffentlich.

STANDARD: Wo verorten Sie als Regisseur den Schwerpunkt Ihrer Arbeit – in der Handlung und ihrer Tiefenstruktur, im Text, im Timing der Musik?

Lund: Ich bin ja gelernter Architekt und merke, dass ich bei meinen Bearbeitungen immer sehr an einem soliden dramaturgischen Fundament arbeite: Hat jede Figur ein Ziel und eine Entwicklung? Gibt es im Grundriss ein Thema, das man wiederaufnehmen kann? Die Musiknummern sind dann die Möbel, die richtig platziert werden müssen, weil sie nur an der richtigen Stelle zur Geltung kommen. Das Timing ist dann vielleicht am ehesten persönlicher Geschmack und variiert je nach Darsteller – wobei ich es immer gerne schnell habe.

STANDARD: Sie sind in mehrfacher Weise auch um jüngere Generationen bemüht, etwa mit dem Stück "Hexe Hillary geht in die Oper". Wie lässt sich Kunst mit Anspruch gegenüber jungen Leuten mit veränderter Aufmerksamkeitsschwelle vermitteln?

Lund: Ich weiß nicht, ob sich die Aufmerksamkeit des jungen Publikums heute so geändert hat. Für das Musiktheater musste schon immer geworben werden, und immer wieder verlieren Menschen ihr Herz an die Gattung – oder sie tun es eben nicht. "Hexe Hillary" ist in diesem Zusammenhang auch für mich ein Ausnahmestück, weil ich einfach mal alle Fragen zusammengetragen habe, die mir Menschen – und weiß Gott nicht nur Kinder – in meinem Leben zum Thema Oper gestellt haben; allen voran die Frage: "Müssen die alle so hoch singen? Das klingt so künstlich!" Ich persönlich kann nur möglichst heutige und aktuelle Themen zu einem Libretto verarbeiten. Das war beim "Figaro" so und bei der "Traviata", und wenn wir uns an diese Vorbilder halten, statt die achtzehnte "Medea" zu vertonen, werden sich auch wieder mehr junge Menschen für das Musiktheater begeistern.

STANDARD: Inwiefern haben sich die Theaterarbeit und das Spiel mit der Darstellung verändert, wo die neuen Medien potenziell jeden zum Selbstdarsteller machen?

Lund: Ich bin fast selber überrascht, wie wenig die neuen Medien meine Arbeit beeinflussen. Natürlich kommen sie als Thema in meinen Stücken vor, und sie schaffen neue Bühnencharaktere, genau wie sie eine neue Form des Kulturmenschen und Konsumenten ausbilden. Aber all das ist doch eher eine neue Form der Kommunikation und keine Revolution des Theaters. Das Theatererlebnis in seiner Einheit von Zeit und Raum ist für mich das genaue Gegenteil der ständigen Gleichzeitigkeit der digitalen Welt. Ich denke, das Theater sollte genau diesen Unterschied für sich nutzen: Abschalten und Konzentration auf das Wesentliche. In Gemeinschaft zum gemeinsam forschenden Publikum zu werden wäre dann der Gegenentwurf zum medialen Selbstdarsteller. Hier liegt für mich die Zukunft der Bühne. (Daniel Ender, 15.9.2016)