In Grace Ellen Barkeys "Forever" treffen sich Maarten Seghers und Mélissa Guérin zum Austausch über Glück und Porzellan.

Foto: Wolfgang Silveri

Philipp Gehmacher in der Uraufführung seiner neuen Choreografie "Die Welt der Dinge".

Foto: Eva Würdinger

Graz – Als Gustav Mahler 1907 im Alter von 47 Jahren mit Das Lied von der Erde seinen Abschied (6. Satz) komponierte, hatte er noch vier Jahre zu leben. 1907 war kein gutes Jahr für ihn. Seine Tochter starb, und bei ihm wurde eine Herzkrankheit diagnostiziert. In die psychischen Nachwirkungen der zweiten Nachricht kann sich Grace Ellen Barkey – mit Jan Lauwers Gründerin der belgischen Needcompany – gut einfühlen. Denn sie selbst leidet an Krebs. Dies gab sie in dem Stück The blind poet, das im Sommer auch beim Wiener Impulstanzfestival zu sehen war, bekannt.

Am Eröffnungswochenende des Steirischen Herbsts zeigte Barkey nun im Orpheum die Uraufführung ihres gemeinsam mit der Needcompany-Kostümdesignerin Lot Lemm geschaffenen Stücks Forever – eine Abwandlung von und ein Spiel mit Mahlers Abschied. Der gebrochene, geraunte und geröhrte Gesang in Forever, zu sehen wieder am 7. Oktober im Frankfurter Mousonturm, kommt von Maarten Seghers. Es tanzen Mohamed Toukabri, der bereits 2014 beim Steirischen Herbst im Eröffnungsevent All Tomorrow's Parties aufgetreten ist, sowie Mélissa Guérin und Sarah Lutz, bekannt durch ihren Einsatz bei Jan Fabres Mount Olympus, dem Großereignis der diesjährigen Wiener Festwochen.

In Forever nimmt Barkey das Geschirrmotiv in The Porcelain Project von 2007 wieder auf. Das hat mit Mahlers Bezug auf chinesische Dichtung zu tun, aber auch mit der Symbolik von Porzellan: zerbrechlich, aber zugleich beständig. Jetzt abstrahiert Lemm ihr Geschirr noch weiter ins Skulpturale der älteren Arbeit: Es ist zum Material für geheimnisvoll klingende Windspiele geworden – und für ein quallenähnliches Gespenst mit menschlichen Händen zwischen den Porzellantentakeln.

Das Stück scheint in zwei andere angeknüpft zu sein. Einmal in Meg Stuarts Duett Maybe Forever (2007) mit Philipp Gehmacher. Und zum anderen in Anne Teresa De Keersmaekers Kooperation 3Abschied mit Jérôme Bel von 2008, in dessen Mittelpunkt ebenfalls Mahlers Lied von der Erde stand. Barkey/Lemms Choreografie ist trotz Scherben am Schluss leichter gebaut als die künstlerisch überlegenen Stücke von Stuart/Gehmacher und De Keersmaeker/Bel, aber sie berührt ihr Publikum trotzdem.

Selbstgeschaffene Umgebung

Philipp Gehmacher liefert parallel zu Barkey aktuell den radikaleren Beitrag zum Auftakt des Tanzprogramms beim Steirischen Herbst: die Uraufführung der Soloarbeit Die Dinge der Welt im Haus der Architektur, zu sehen noch bis 2. Oktober. In einem schmalen, langgestreckten Raum hat der Choreograf, der sich auch mit bildender Kunst auseinandersetzt, sechs künstlerische Objekte installiert.

Das Ergebnis ist keine Ausstellung, sondern ein Performanceraum. Gehmacher ordnet seine Objekte zwar den Dingen der Welt zu. Aber mit einer Welt der Dinge will sich der Choreograf hier nicht auseinandersetzen. Jede der insgesamt sieben Aufführungen des Stücks in Graz ist anders, doch das Prinzip bleibt: Ein Subjekt monologisiert und tanzt in einer selbstgeschaffenen Umgebung.

Den Bewegungen ist anzusehen, dass sich ihr Autor neuerdings mit Clubtanz beschäftigt – auch unter Einfluss von Ian Kaler, mit dem er in dessen o.T. (gateways to movement) tanzt. Nun wird man zum Zeugen einer spannenden Weiterentwicklung von Gehmachers Bewegungssprache. Noch im Vorjahr hatte er in seinem Stück my shapes, your words, their grey bei Impulstanz im 21er-Haus viel weniger Wert auf und Energie in den Tanz gelegt.

Optisch erscheinen Die Dinge der Welt hell und abgeklärt zu sein, doch die Stimmung um sie herum ist unserer Zeit entsprechend von Verunsicherung geprägt. Der dunkle, zuweilen heftige und harte elektronische Sound zu den Tanzstatements stammt von Gérald Kurdian. (Helmut Ploebst, 26.9.2016)