Im Schuljahr 2014/15 gab es rund 15.800 Jugendliche an 239 "Polytechnischen Schulen".

Wien – Sie hatte von Beginn an einen schweren Stand bei Eltern und Schülern, wird von Kritikern als "Lückenfüller" und "Restschule" abqualifiziert: die polytechnische Schule. Für die Lehrervertreter ist sie indes "trotz aller Unkenrufe und Zweifel eine Erfolgsgeschichte". Im aktuellen Schuljahr feiert das "Poly" sein 50-Jahr-Jubiläum – und soll wieder einmal durch eine Reform aufgewertet werden.

Im Schuljahr 2014/15 gab es rund 15.800 Jugendliche an 239 "polytechnischen Schulen", die entweder als eigener Standort geführt werden oder in Form einzelner Klassen an andere Schulen angeschlossen sind. In den Klassen sitzt ein bunter Haufen an Schülern: Die meisten sind Absolventen der Neuen Mittelschule (früher Hauptschule). Dazu kommen aber auch Jugendliche, die die vierte Klasse Hauptschule nicht positiv abgeschlossen haben sowie Schüler, die von mittleren und höheren Schulen abgewiesen wurden oder solche, die keine Lehrstelle gefunden haben.

Stadt-Land-Gefälle

Deutliche Unterschiede gibt es hier zwischen Stadt und Land, wie Helmut Engelbrecht in seinem Geschichtsband "Schule in Österreich" schreibt: In Wien beenden laut Engelbrecht 60 Prozent der Schüler mit nicht-österreichischen Wurzeln ihre Schullaufbahn (mit oder ohne positivem Zeugnis) in dieser Schulform, eine Lehrstelle bleibt ihnen oft verwehrt. Auf dem Land führt hingegen der Weg über Hauptschule und Poly klassisch in die Lehre, in manchen Orten treten ganze Neue Mittelschulklassen geschlossen ins Poly über.

Auch Pflichtschulgewerkschafter Paul Kimberger von der Fraktion Christlicher Gewerkschafter (FCG), betont die Unterschiede: Am Land sei das Poly "die perfekte Schnittstelle in die Lehre hinein", von der Wirtschaft akzeptiert und anerkannt. In den Städten hingehen erfülle der Schultyp vor allem eine soziale Funktion: "Er gibt Jugendlichen eine Chance, die sonst keine Chance hätten."

Verlängerung der Schulpflicht 1962

Die Geschichte der Polys reicht zurück ins Jahr 1962. Damals wurde als Reaktion auf die geringen Erfolgsquoten der Hauptschulen und AHS-Unterstufen – 1951 schlossen im Schnitt 40 Prozent nicht die letzte Klasse ab – eine Verlängerung der Schulpflicht auf neun Jahre beschlossen. Nach mehreren Vorbereitungsjahren startete der "polytechnische Lehrgang" 1966 dann regulär. Dessen Hauptaufgabe sollte die Vorbereitung auf das Berufsleben sein. Dass die Polys als einzige der weiterführenden Schulen auch Schüler ohne bzw. mit negativem Hauptschulabschluss aufnehmen, trug vor allem in den Städten zum Ruf als "Restschule" bei.

Die Konstruktion als einjährige Schulform war dabei laut Engelbrecht eine Verlegenheitslösung: SPÖ und ÖVP konnten sich schlicht nicht darauf einigen, ob dafür (wie vor 1927) die Volksschule oder die Hauptschule um eine Schulstufe aufgestockt werden sollte.

Neues Profil 1992

Vor allem in den Städten wurde der neue Schultyp, der keine spezifischen Befähigungen und Berechtigungen bringt, von den Eltern vielfach als verlorenes "Wartejahr" abgelehnt. Als "Vorbereitungslehrgang für die Lehre" wurde das Poly nur bedingt wahrgenommen, daran konnte auch eine Umstellung auf praxisorientierteren Unterricht 1980 nichts ändern. Anfang der 1990er hatten schließlich nur noch 40 Prozent der Lehranfänger davor einen Polytechnischen Lehrgang abgeschlossen.

Viele Schulversuche und eine Reform im Jahr 1996 später wurde das Poly schließlich in "Polytechnische Schule" umbenannt und damit zumindest sprachlich die abwertende Sicht als Anhängsel beseitigt. Das neue Profil der Schulform: Eine Vertiefung und Erweiterung der Allgemeinbildung inklusive der Möglichkeit, den Pflichtschulabschluss nachzuholen, sowie Berufsorientierung und Berufsgrundbildung in einem von sieben Fachbereichen (Metall, Elektro, Bau, Holz, Handel-Büro, Dienstleistungen, Tourismus).

Pilotversuch an 13 Schulen

Die Rufe nach einer Abschaffung sind trotz Bemühungen von Schulverwaltung und Lehrern auch danach nicht verstummt, die Schülerzahlen weiter zurückgegangen. Nur noch halb so viele Schüler wie bei der Schaffung 1966 sitzen heute laut Daten der Statistik Austria in den Polytechnischen Schulen, im Vergleich zu 1996 sind es um 17 Prozent weniger.

Derzeit wird ein weiterer Reformversuch unternommen, um die Schulform attraktiver zu gestalten: Konkret läuft noch bis 2016/17 ein vierjähriges Pilotprojekt an 13 Schulen, bei dem laut Bildungsministerium stärkere Individualisierung und die Einführung von Modulen für Allgemeinbildung, Berufsgrundbildung und Persönlichkeitsbildung erprobt wird. Speziell im ersten Semester sollen Schüler außerdem leichter zwischen den Fachbereichen wechseln können. Auch die Übernahme von Elementen wie die Schüler-Eltern-Lehrer-Gesprächen und ergänzenden Leistungsbeschreibungen aus den NMS sollen wieder mehr Jugendliche in die Polys locken. (APA, 3.10.2016)