Wo ist Platz für Heinrich und seine Grete? Im dunklen Rund der Drehbühne, hinter der strahlend weißen Fassade.

Foto: Christian Brachwitz

Linz – Zeitgenossenschaft ist heute kein Genuss. faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete heißt folgerichtig das Stück des Lokalmatadors Ewald Palmetshofer, eines etwas anderen Heimatdichters, in den Linzer Kammerspielen. Er würgt an der Welt. "Nachgestellte szene" steht vieldeutig auf dem ins Rampenlicht vorgefahrenen Podest geschrieben:

Sechs junge, schöne Menschen, leger-schick angezogen und einander zugeordnet als Pärchen, frönen darauf ihren wenig inspirierten und letztlich nicht sättigenden Vorstellungen vom Glück: abwechselnd besuchen die Mittdreißiger einander in ihren Wohnungen zu Wein und Grillerei. Gerne vegetarisch. Die freundliche Aufforderung "Bring what you eat" tönt mantraartig vorgebracht bald wie getarnter Geiz. Glück für alle kann es nicht geben. Mehr als Neo-Biedermeier geht sich für sie als Beitrag zum "Gemeinschaftskörper" nicht aus.

Für Visionen sind andere zuständig, per übergezogenem Parka schlüpft das Ensemble in deren Rollen: eine Sozialarbeiterin (Grete) und einer, der in Krisengebieten als Helfer u. a. Latrinen baut (Faust). Eigentlich passen sie nicht dazu, aber integrieren muss sich der Mensch ja und das geht am besten, indem er das Paardasein übt und sich fortpflanzt. Sie werden also verkuppelt.

Ruhig geführte Überforderung

Mit ihnen stellt Palmetshofer den Bieder-Bürgerlichen und ihren zum Spa-Wochenende und zu Balkontomaten geschrumpften Leben etwas Ungreifbareres gegenüber. Das nehmen die scheinbar einfachen Kulissen (Christian Kiehl) klug auf: Hinter dem Podest liegt schwarz und leer die Drehbühne. Dothin ziehen sich die Außenseiter zurück zum Fragen, Tanzen, für eine Idee von Freiheit. "Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können", hielt dereinst bekanntlich Nietzsche fest.

In diesem Chaos übt sich auch Palmetshofer. Manche Premierengäste wussten nicht, worauf sie sich mit ihm einlassen: seine Sprache unterschlägt Prädikate, bricht zuweilen mitten im Satz ab, folgt dem Prinzip der Überforderung, erzeugt virtuose Wortfolgen voll motivischer Bezüge zum Goethe‘schen Faust, voll analytischer Exkurse und dunkel getöntem Humor. Der Mensch müsse durchlässig sein, am besten ohne Kern, stellt er etwa fest. Dann schlägt sich die Liebe als Rechenarbeit in Vokabeln zwischen Investment in einen Partner und Wertschöpfung aus jenem nieder. Der Landmensch wiederum ist einer, dem sich, einmal dort zur Welt gekommenen, für immer als Minderwertigkeit einprägt: "ein Körper, dem sein Herz nach Kuhglocke klingt". Auch über Trugbilder aus der Werbung und Hollywood lässt sich so sinnieren.

Mit ruhiger Hand führt Regisseurin Katharina Schwarz durch die eindreiviertel Stunden, ohne überspannte Gesten tragen die Schauspieler vor, ohne Kitsch und Dekor findet dazu auch noch manch reizender Regieeinfall Platz. Stürmischer Beifall dafür. (Michael Wurmitzer, 16.10.2016)