Karl Anton Reichel: "Weibliche Aktstudie" (1909).

Foto: Albertina Wien

Wien – Einem bislang wenig erschlossenen Kapitel der österreichischen Kunstgeschichte widmet sich derzeit die Albertina: dem Farbholzschnitt im Wien der vorvergangenen Jahrhundertwende. Wiewohl sich nämlich die Superstars Klimt, Schiele, Kokoschka wenig bis gar nicht mit dieser Technik befassten, wurde im Dunstkreis von Secession oder Wiener Werkstätte eifrig – und meisterhaft – gedruckt.

Mit der Ausstellung Der Farbholzschnitt in Wien um 1900 betritt man ein Panorama des Schönen, durchweht vom Fin-de-Siècle-Eskapismus. Zu sehen sind zunächst etwa Wiener Stadtansichten Carl Molls, der für seine Beethoven-Mappe sämtliche Wohnhäuser abbildete, in denen der Komponist zwischen 1792 und 1827 gelebt hatte.

Ein ganzer Raum ist dann den feinsinnigen Tierbildern Ludwig Heinrich Jungnickels gewidmet, der Tiger, Papageien oder Flamingos in ihren jeweiligen "Charakterzügen" wiederzugeben trachtete. Dabei stellte er sie nicht vor einem "natürlichen" Hintergrund dar, sondern abstrahierte sie vor neutralem weißen Grund. Selbiger spielt auch in den Landschaftsbildern Josef Stoitzners eine wesentliche Rolle, die im Salzburger Pinzgau entstanden und etwa abgelegene, verschneite Wiesen oder ein Felsmassiv im Sonnenuntergang zeigen.

Strukturiert ist die von Tobias Natter initiierte Ausstellung nach "Künstlerpersönlichkeiten" respektive künstlerischen Ansätzen. Darin besteht auch ein wesentlicher Unterschied zur Ausstellung Kunst für alle, mit der sich Natter in der Schirn-Kunsthalle Frankfurt bereits diesen Sommer dem Wiener Farbholzschnitt widmete (der STANDARD berichtete) – allerdings mit Fokus auf die Technik.

Keine angewandte Kunst

Die hauseigene Variation der Schau in der Albertina (kuratiert von Eva Michel) ist mit rund 100 Werken deshalb kleiner ausgefallen, weil sie sich ausschließlich aus der eigenen Sammlung speist und aus diesem Grund das Feld der angewandten Kunst ausgeklammert wurde: Statt Plakaten, Verpackungen etc. ist hier autonome Kunst zu sehen.

Und hierin liegt im Übrigen, wie Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder anlässlich der Pressekonferenz am Dienstag zu erläutern hatte, auch der Grund, warum in Wien keine Künstlerinnen ausgestellt sind: Die Frauen arbeiteten eher in der angewandten Kunst.

Anhand des symbolistischen Bildes Der Polster (1903) von Maximilian Kurzweil wird in der Albertina auch die Drucktechnik an sich nachvollziehbar gemacht. Zu sehen sind neben einem Probedruck nämlich auch vier sogenannte Druckstöcke, also jene Platten, in die das Motiv – beziehungsweise seine Bestandteile – seitenverkehrt hineingeritzt ist und auf die später Farbe aufgetragen wurde.

Für Variationen und Fortentwicklungen der Technik stehen etwa die auf Schablonen beruhenden "Spritzbilder" Jungnickels. Franz von Zülow entwickelte unterdessen nicht nur den sogenannten "Papierschnittdruck", sondern abstrahierte außerdem seine Motive mitunter bis zur Auflösung. (Roman Gerold, 19.10.2016)