Wien – Man habe die Augen vor der bestehenden Situation nicht verschlossen, wie es manche populistische Stimmen nahelegten, sagte Sandra Frauenberger (SPÖ) bei einem Hintergrundgespräch am Donnerstag am Wiener Volkertmarkt. Die Stadträtin für Integration bezog sich auf Reaktionen auf die Studie zur Wiener Jugendarbeit, die vergangene Woche für Aufsehen sorgte, weil sie rund 27 Prozent der muslimischen Jugendlichen latente Radikalisierungsgefahr attestierte.

Die Forderung etwa des Wiener ÖVP-Obmanns Gernot Blümel, die Studie "umgehend öffentlich zu machen", habe Frauenberger "ganz interessant gefunden", denn sie sei ab Ende der geplanten Sperrfrist am Montag in der ganzen Fassung abrufbar gewesen. Vorwürfe der Intransparenz wollte die Stadträtin ebenso wenig gelten lassen wie jene der Realititätsverweigerung: "Wir schauen hin, und unser Hinschauen ist der richtige Weg." Dass man von den Ergebnissen überrascht worden sei, stimme nicht, denn es seien gerade Beobachtungen in städtischen Jugendeinrichtungen vor mehr als zwei Jahren gewesen, die erst den Anstoß für die Erhebung gegeben haben, sagte Frauenberger.

Geopolitische Zusammenhänge

Nun könne man mit den Resultaten gut weiterarbeiten und die bestehenden Instrumente schärfen, sagte Manuela Smertnik, die Leiterin der Pädagogischen Abteilung im städtischen Verein Wiener Jugendzentren (VJZ). Der Verein betreut jedes Jahr rund 10.000 Jugendliche, die im offenen Betrieb, in Gruppen- und Zwiegesprächen auch mit den aktuellen Studienergebnissen konfrontiert werden sollen. Man hege Hoffnung, auch die 27 Prozent der Gefährdeten zu erreichen, denn sie seien "keine gefestigten Ideologen, sondern Sinn- und Identitätssuchende", so Smertnik.

Diese Suche sei auch in geopolitischen Zusammenhängen zu sehen, sagte David Schwarz, der seit 2001 ein Jugendzentrum in der Großfeldsiedlung leitet. Mangelnde Berufsaussichten in ökonomischen Krisenzeiten oder der Vormarsch der Terrormiliz IS im Nahen Osten, zu dessen Höhepunkt die Studie durchgeführt worden war, seien der Kontext, in dem die Ergebnisse gelesen werden müssten, sagten die Jugendarbeiter. Heranwachsende würden dann Aufwertung anderswo suchen, und die von extremistischen, aber nicht nur religiösen Gruppen ausgehende Sensationslust würde diese Suche bedienen.

In Jugendeinrichtungen wie dem VJZ versuche man, diesem Phänomen mit konkreten Maßnahmen zu begegnen, so biete man Sportkurse oder Austauschreisen nach Israel an und bereite die Teilnahme an der Regenbogenparade mit einem Lkw vor. Auf globale Wirkungen könne man aber nur bedingt Einfluss nehmen, hier sei auch die Politik gefordert, so unterstütze der VJZ auch Bestrebungen nach einer Ausbildungspflicht bis zur Volljährigkeit.

Der Autor der Studie, Kenan Güngör, sagte indes seine Teilnahme an einer Fernsehdiskussion auf "Servus TV" am Donnerstag ab. Der Sender hatte auch Martin Sellner, den Anführer der rechtsextremen "Identitären Bewegung", zu "Talk im Hangar-7" eingeladen. Güngör wolle verhindern, "dass unsere Studie als Steilvorlage für rechtspopulistische Propaganda missbraucht wird". (mcmt, 20.10.2016)