Dirk Stermann (links), Christoph Grissemann und gemeinsame Ente.

Foto: Udo Leitner

Wien – Loriots beste Sketche beschreiben den Alltag einer Generation, in der unglückliche Ehen noch bis zum Gnadenjubiläum (70 Jahre) verunglücken konnten. Heutzutage deuten gleich hohe Eheschließungs- wie Scheidungsraten zwar darauf hin, dass der sichere Hafen im digitalen Tinder-Sturm wieder an Attraktivität gewinnt, dass die meisten nach einem ersten "Wir müssen reden" aber genauso häufig wieder zu neuen Ufern aufbrechen.

Die Szenen einer Ehe des 2011 verstorbenen Satirikers Loriot, bürgerlich Bernhard-Viktor von Bülow, sind Kult. Unvergleichlich komisch setzte er dem allgemeinen Kommunikationsversagen in Politik, Medien und zwischenmenschlichen Beziehungen kleine Denkmäler in Dialogform.

Der erste Abend reicht

Dem Komikerpaar Dirk Stermann und Christoph Grissemann sind die Texte wie auf den Leib geschrieben. Ihre Verpartnerung hält seit 26 Jahren. Da passt die Rollenverteilung, sitzt jeder Seitenhieb der Hassliebe. Seit 2010 lesen sie bekannte Sketche von Loriot im Theater Akzent, wovon es nun einen Aufguss gibt.

Musikalisch umrahmt von der Pianistin Philippine Duchateau, geben Stermann/Grissemann mit gewohnter Freude am Dilettieren Eduard Zimmermann in "Aktenzeichen XY" ungelöst oder Agrarexperten in einer Fernsehdiskussion zur leidigen Schnittbohnenaffäre, die an 70 Prozent aller Im Zentrum-"Debatten" gemahnt. Also genau nichts sagt.

Wer den ersten Loriot-Abend gesehen hat, kann sich den zweiten allerdings sparen. Viel Neues ist nicht dabei. Dass auch weniger Spaßiges zur Aufführung gelangt, dafür sorgt Tochter und Nachlassverwalterin Susanne von Bülow, die die Texte mit kuratorischem Eifer hütet. (Stefan Weiss)

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Zudem ist das Duo abseits der geteilten Bühne nicht untätig. Eben erschienen ist Grissemanns Fremdflirten mit Rocko Schamoni. Unter dem Titel Ich will nicht schuld sein an deinem Niedergang (Piper) versammelt der SMS-Wechsel Bekundungen wie "Habe heftig geweint die letzte Stunde. Jetzt geht’s halbwegs wieder".

Zum Weinen wäre auch Claude in Stermanns neuem Roman Der Junge bekommt das Gute zuletzt (Rowohlt) zumute. Claude, so heißt er wegen des Anthropologen Claude Lévi-Strauss. Denn auch die Mutter des 14-Jährigen ist Menschenforscherin, kennt sich mit Menschen dafür aber beachtlich wenig aus.

Traurige Tropen heißt zwar Levi-Strauss' Hauptwerk, manchmal liegt das Bekümmernde aber so nah. Wozu also in die Ferne schweifen? Man kann es auch in Wien finden. Denn auch Claudes Vater ist eine Niete, bald haben beide den Buben allein in der vormaligen Familienwohnung zurückgelassen.

Das Kuriosum zum Atmen

Ein ernstes Buch sollte es werden. Doch, Leser, seien Sie nicht betrübt! Bald ist Claude lebensrettender Beifahrer eines an Multipler Sklerose erkrankten Taxlers, bald werdender Vater, bald Mitbewohner dreier chinesischer Friseure. Jeder Absatz aus des Kabarettisten Feder kriegt das Kuriosum, das er zum Atmen braucht.

Nicht alles, was du lustig findest, finde auch ich lustig, schilt der Sohn seinen Posaunisten-Vater ("Lauter alte Weiber im Publikum, die aus der Fut nach Tod riechen"). Und man gibt ihm recht. Viele Details sind zwar fein aufeinander bezogen, aber oberflächlich. Für die Geschichte tun sie wenig.

Manches wie die Worterfindung "Patchworst" statt Patchwork hat Charme, und mit Seitenhieben auf die FPÖ, Burkas ("Burkas machen schlank") oder Amstetten ("... die langweiligste Landschaft der Welt. Hier wäre man lieber unter der Erde, dachte ich") bleibt der Autor dem hehren aufklärerischen Geist seiner Hauptbeschäftigung treu.

Bloß steht das alles der Romanform weniger gut. Wenn er schreibt "Ich kaufe dein Leben, Oida, zitierte er den Fußballer Marko Arnautovic, der diesen Satz bei der Verkehrskontrolle zu einem Polizisten gesagt hatte", ist das dröge und behäbig. Mitunter erweckt solch Wikipedia-haft zu lesendes Fact-, Place- und Namedropping den Anschein einer Fremdenverkehrswerbung für Deutsche: Kommts nach Wien, bei uns gibt's krachende Tiroler Ks! Siechende Komponisten! Hinrichtungen! Kurz im Halbwert. (Michael Wurmitzer, 20.10.2016)