Johanna Orsini-Rosenberg (li.) und Alexander Braunshör (re.) schlüpfen zusammen mit Julia Schranz bravourös in eine Fülle von Rollen.

Foto: Sandra Fockenberger

Wien – Mit seinen "scientific romances" ist H. G. Wells einer der Vorreiter der späteren Science-Fiction. In 22 Eintragungen eines fiktionalen Berichts hat er 1896 Die Insel des Dr. Moreau festgehalten. Hauptfiguren des Frühwerks sind der titelgebende Arzt, der auf einer einsamen Südseeinsel Tiere zu seiner Utopie von menschenähnlichen Wesen züchtet, und der als Schiffbrüchiger an ihn geratene Prendick. Der wird zu einer ethischen Instanz, Moreau zum Antihelden. Am Ende zerfleischt ihn eine seiner Kreaturen. So viel der Mahnung vor den unheiligen Seiten des Evolutionspfuschs.

Das Theater an der Gumpendorfer Straße (TAG) hat den hierzulande weniger bekannten Stoff nun auf den Spielplan gehoben, natürlich aber nicht einfach so. Zum einen, weil es das TAG ist. Zum anderen, weil Mara Mattuschka und ihre The-Practical-Mystery-Gruppe dafür verantwortlich zeichnen. Die Regisseurin inszeniert nicht nur und hat das Stück geschrieben, sondern dem Haus die Uraufführung zudem vollfinanziert zugetragen. Das Aus-einer-Hand merkt man ihm an. Zum Besten.

Auffällig mit Hintersinn

Die Inseln des Dr. Moreau, so der schon leicht verschobene Titel, ist wie seine Schöpferin quirlig. Strukturiert von fliegenden Rollen- und Szenenwechseln, flirrt es zwischen Interpretation des Ursprungstextes, einem Kommentar dazu, einer Fortdichtung des Stoffes. Dazu hat Paul Horn mit einem losen Nebeneinander der verschiedenen Schauplätze eine mehr als bloß taugliche Bühne beigetragen.

Nicht End-, aber ein Höhepunkt der Handlung: 1932 treffen der Sozialist Wells und Stalin aufeinander. Damals führte der Diktator vivisektorische Experimente durch, für welche er menschliches und schimpansisches Erbgut kreuzen ließ. Darüber an der Wand leuchtet ein roter Stern. Kein sowjetischer, sondern ein Seestern. So ist der Humor des Abends beschaffen: auffällig, dabei mit Hintersinn.

Dass die Insel bisher unter wechselnden Vorstellungen von Genetik und dem menschlichen Eingreifen dreimal zu Flops verfilmt wurde, zuletzt mit Marlon Brando, auch dem trägt Mattuschka Rechnung: per Showbizsatire, in der sie Urtext und Folgezelluloid miteinander in Austausch bringt. Die Kostüme (toll von Andrea Bernd) erzählen denn auch vom Glanz der großen Ära Hollywoods. Brando hingegen von dessen Leere.

Ausufernd, aber sicher gefasst

Diese Anlage wird über eindreiviertel Stunden und verschiedene Realitätsebenen kunstvoll ausufernd, aber sicher verfolgt. Szenisch ist das herrlich und detailreich. Mühelos erfüllen Alexander Braunshör, Johanna Orsini-Rosenberg und Julia Schranz mit dandyesken Verstellungen (Moreau), prononciertem russischen Akzent und queeren Gesten (Pantherfrau Lota) schillernd ihre 20 Rollen. Vorzüglich zudem der Sound (Moritz Wallmüller), selbst das Licht (Dominik Danner, Hans Egger) wäre zu loben.

Einzig der nicht mehr ganz mit Aktualität gesegnete Ice-Bucket-Challenge-Schmäh dürfte getrost gestrichen werden. Großer Premierenapplaus, bravo allen Beteiligten! (Michael Wurmitzer, 3.11.2016)