Die türkische Schriftstellerin Aslı Erdoğan soll aus der Haft entlassen werden.

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Ankara/Istanbul – Die türkische Schriftstellerin und Journalistin Aslı Erdoğan wird nach Angaben ihres Anwalts doch nicht aus dem Gefängnis entlassen. Ein Gericht habe zwar die Freilassung der 49-Jährigen in einem gegen sie laufenden Verfahren wegen "Versuch der Zerstörung der nationalen Einheit" angeordnet, sagte Rechtsanwalt Erdal Doğan am Mittwoch der Nachrichtenagentur AFP.

Wegen eines anderen Anklagepunkts, der mutmaßlichen "Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation", müsse sie aber bis zu ihrem Prozess in Haft bleiben. Dasselbe gilt für die ebenfalls inhaftierte 70-jährige Autorin und Übersetzerin Necmiye Alpay.

Den beiden nach dem Putschversuch vom Juli festgenommenen Frauen droht wegen angeblicher Terrorunterstützung lebenslange Haft. Türkische Medien hatten zuvor berichtet, ein Gericht habe am Mittwoch die Freilassung der seit mehr als drei Monaten in Istanbul inhaftierten Erdoğan und Alpay angeordnet. Nun stellte der Anwalt klar, dass das nur für einen Anklagepunkt gegolten habe.

Festnahme im August

Die Staatsanwaltschaft wirft insgesamt neun Mitarbeitern der prokurdischen Zeitung "Özgür Gündem", darunter Erdoğan und Alpay, "Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation" und "Propaganda für eine Terrororganisation" vor. "Özgür Gündem" wurde im August nach einer Razzia unter dem Vorwurf geschlossen, dass die Zeitung mit der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die von der Regierung als Terrororganisation angesehen wird, zusammengearbeitet habe. Auch der Herausgeber von "Özgür Gündem", İnan Kızılkaya, und Chefredakteur Zana Kaya bleiben in Haft. Der Prozess soll am 29. Dezember beginnen

Erdoğan war bei einer Razzia gegen Unterstützer von "Özgür Gündem" Mitte August festgenommen worden, wenig später wurde Haftbefehl erlassen. Sie schrieb unter anderem Kolumnen für die Zeitung.

Nagl: "Hier hat sie ein Zuhause"

Die 1967 in Istanbul geborene Erdoğan ist auch international bekannt. Ihre Bücher wurden unter anderem im Züricher Unionsverlag publiziert. Erdoğan hatte zunächst Informatik und Physik studiert und arbeitete von 1991 bis 1993 als Physikerin am europäischen Kernforschungszentrum Cern in Genf.

Von August 2012 bis zum Sommer 2013 war Erdoğan "Writer in Exile" der Stadt Graz. Deren Bürgermeister Siegfried Nagl hatte bereits im August per Brief an den türkischen Botschafter in Österreich gegen Erdoğans Festnahme protestiert und kundgetan: "Für sie wird es immer einen Platz in Graz geben."

Aktuell schreibt er an einem Brief mit der Forderung, Erdoğan aus der Türkei ausreisen zu lassen. "Hier hat sie ein Zuhause", erklärte er gegenüber dem STANDARD.

Internationale Unterstützung

Für ihre Freilassung hatten sich auch deutsche Verleger und Schriftsteller eingesetzt. Vor gut einer Woche entrollte der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, Alexander Skipis, bei einer Protestaktion vor dem Frauengefängnis Bakırköy in Istanbul ein Banner zugunsten der 49-Jährigen.

Die Autorin hat keine verwandtschaftlichen Verbindungen zu Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan. Sie gehört zu den bekanntesten türkischen Autorinnen. Zu ihren Romanen zählt "Die Stadt mit der roten Pelerine". Die Autorin leidet an Asthma und Diabetes. Sie saß bis Mittwoch 97 Tage im Gefängnis. (APA, cms, 23.11.2016)