Olivier Collin baut Winzerchampagner im Holz aus. Bei Pascal Agraparts "Terroir" steht der Kreideboden im Vordergrund. Sophie und Pierre Larmandier setzen auf wilde Hefen. Und Cédric Bouchard verzichtet gänzlich auf die Dosage.

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Kleine Winzer graben mit ihrem Champagner den Großen zusehends das Wasser ab.

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Er könne sich schon vorstellen Champagner zu dekantieren, meint Josef Floh, Chef der legendären Gastwirtschaft in Langenlebarn. Manche Champagner hätten durchaus die Komplexität guter Weine. Dafür brauche es aber überaus aufgeschlossene Gäste, denn die heißbegehrten Bläschen sind dann perdu.

Floh ist ein Weinnarr, und dementsprechend ist seine Karte ausgerüstet: Von edlen Rieslingen bis zu feinsten Burgundern – bester Stoff aus der ganzen Welt und dazu eine beeindruckende Auswahl an Champagnern, seit einiger Zeit zunehmend von kleinen Produzenten, sogenannten Récoltants-Manipulants. Damit war er hierzulande bis vor kurzem eine Ausnahme: In den meisten Restaurants war die Zahl der Champagner an einer Hand abzuzählen, und die Auswahl war so spannend wie die Aufstellung einer Regionalligamannschaft. Immer dieselben Namen – immer der gleiche Geschmack – Hauptsache es sprudelte.

Längst ein Massenprodukt

Champagner bekannter Häuser war lange der Inbegriff des Exklusiven und wurde in Restaurants zu irrwitzigen Preisen angeboten. Ein Phänomen, ist der edle Sprudel doch längst zum Massenprodukt geraten: Marken wie Moët, Veuve Clicquot oder Pommery füllen jährlich mehrere Millionen Flaschen ab. Das Erfolgsrezept, standardisierte Qualität und Einheitsgeschmack, scheint zwar nach wie vor zu funktionieren, kleine Winzer graben den Großen aber zusehends das Wasser ab.

Obwohl die großen Häuser nur zehn Prozent der Rebfläche besitzen, erwirtschaften sie immer noch geschätzte 90 Prozent des Umsatzes. Trauben kaufen sie meist von vielen verschiedenen kleinen Produzenten, die zum Missfallen der Häuser zunehmend ihren eigenen Champagner abfüllen. Einige von ihnen sind damit inzwischen so anerkannt, dass den Großen angst und bang wird.

Die Fachmagazine sind entzückt – für das renommierte englische Weinjournal "Decanter" sind Récoltants-Manipulants die neuen Sterne am Champagnerhimmel. Nachdem man ihn jahrelang beharrlich ignorierte, scheint nun ein regelrechter Hype um Winzerchampagner ausgebrochen zu sein.

Das Besondere

Auch bei uns finden weinaffine Gastronomen Gefallen an den Schaumweinen kleiner Produzenten: "Meine Gäste erwarten von mir, dass ich ihnen Außergewöhnliches biete, erklärt etwa Hermann Botolen, Spitzensommelier und Neowirt, "da kann ich nicht mit Allerweltschampagner kommen, den es auch im Supermarkt gibt!"

Was aber macht Champagner von kleinen Produzenten so außergewöhnlich? "Sie haben so ziemlich alle Regeln der Champagne gebrochen", meint der amerikanische Champagnerexperte Peter Liem, "und der Region zu einer neuen Dynamik verholfen."

Das Dogma der Assemblage, der Vermählung verschiedener Lagen oder Rebsorten, ist für sie nebensächlich. Sie besitzen nur wenige, aber dafür erstklassige Lagen, die sie gerne getrennt ausbauen und abfüllen, um Herkunft und Charakter ihrer Gewächse zu betonen. Dafür sparen sie mit der Dosage – einer heiligen Kuh der Champagne. Die Zucker- und Altweinzugabe am Ende der Schaumweinerzeugung beeinflusst den Geschmack wesentlich.

Je höher die Dosage, desto weicher und zugänglicher der Champagner. Das würde jedoch den Charakter des Weines verschleiern und Fehler kaschieren, glaubt etwa Benoit Tarlant, Champagnerwinzer aus dem Vallée de la Marne, der fast ausschließlich "Zero Dosage" abfüllt. Tarlant ist einer der neuen Shootingstars – sein Vigne d'Antan von 70 Jahre alten Rebstöcken ist notorisch ausverkauft.

Biochampagner

Viele Winzer arbeiten auch biologisch, sie sind überzeugt, dass nur von gesunden Böden und Rebstöcken erstklassige Grundweine entstehen könnten – wie Franck Pascal, der beim Militär mit chemischen Waffen zu tun hatte. Als er merkte, dass Pestizide im Weinbau die gleiche Zusammensetzung haben wie jene von Chemiewaffen, entschied er, auf Bio umzustellen.

Die Vignerons verstehen Champagner als anspruchsvollen Wein und nicht als sprudelnden Aperitif. Unterschiede zwischen einzelnen Lagen und Jahrgängen sind dabei oberste Prämisse. Für Olivier Colin zählt nur die Lage: "Ich will die DNA jeder einzelnen Parzelle zum Ausdruck bringen!"

Wie viele der jungen Produzenten wurde er von Anselme Selosse ausgebildet, dem Pionier und Gründervater des Winzerchampagners. Er leitete die Revolution in der berühmten Region ein und legte sich dabei auch mit bekannten Maisons an: "Der Unterschied zwischen unserem und industriell gefertigtem Champagner der Häuser ist nicht die Größe, sondern der Zugang", glaubt er: "Wir wollen Individualität, sie erzeugen Massenprodukte mit uniformem Geschmack."

Nach dem Vorbild Burgunds baut er seine Grundweine aus Einzellagen nicht wie üblich im Stahltank, sondern im Holz aus, um ihnen mehr Ausdruck zu verleihen.

Auch Pascal Agrapart, erklärter Bodenfetischist, gilt als Meister der Blancs de Blancs, der reinsortigen Chardonnays. Er versteht es, den berühmten Kreideböden seiner Grand-Cru-Lagen, das Äußerste an Mineralität zu entlocken. Nicht umsonst tragen seine begehrten Schaumweine Namen wie Terroir oder Mineral.

Konventionen, die dem Qualitätsstreben der Winzer im Weg stehen, werden ignoriert – man macht, was gefällt. Spontanvergärung mit wilden Hefen etwa: bei den Winzern Standard, für die Kellermeister der renommierten Häuser ein Fauxpas. Was würden sie erst zu dem in Betoneiern oder Amphoren vergorenen Champagner von Chartogne-Taillet sagen?

Oder zu den beinahe perlagefreien Gewächsen von Cédric Bouchard, dem wohl radikalsten Vertreter der Winzeravantgarde. Seine filigranen burgundischen "Champagner" werden grundsätzlich ohne Dosage abgefüllt. Zumindest müsse man erstklassige Champagner dekantieren, um überhaupt ihr Wesen zu erfassen, postuliert er. Josef Floh hat es inzwischen ausprobiert – vorerst allein. Und er kann durchaus Gefallen daran finden. (Christina Fieber, RONDO, 8.12.2016)