Aushebelung des um Frauen betriebenen Schönheitskults: Anna Natts Choreografie "Dame Gothel ... it hurts to be beautiful", zu Gast beim Freischwimmer-Festival im Brut.

Foto: Piotr Rybowski

Wien – Großer Auftritt für ein Häuptel Salat bei Anna Natt zum Beginn des Freischwimmer-Festivals, das derzeit – bis Mittwoch – im Brut-Theater läuft. Giftig grün liegt es im ersten Bild von Natts Tanzstück Dame Gothel ... it hurts to be beautiful in der Lichtinsel eines einzigen Spots, umgeben von mystischem Dunkel.

Dame Gothel ... ist auf Grimms Märchen Rapunzel bezogen. Darin entwickelt eine Schwangere wahren Heißhunger auf Vogerlsalat, auch Rapunzel genannt. Ihr gefälliger Gatte stibitzt dieses Grünzeug aus dem Garten der Nachbarin, der Zauberin Gothel, wird von dieser erwischt und genötigt, der Bestohlenen das Neugeborene zu überantworten.

Selbiges entwickelt sich zu einem prächtigen Mädchen, bleibt aber Gothels Gefangene. Ein Königssohn entdeckt sie und verliebt sich: "Rapunzel, Rapunzel, lass mir dein Haar herunter!"

Zungenschnalzen und Grunzen

Nun ist aber ein Häuptel- kein Vogerlsalat, und Anna Natt (41) erzählt das Märchen nicht nach. Daher kommt nach dem Salat die Berliner Choreografin selbst ins Rampenlicht, als mutierendes Monster mit hautfarbenem Latexkostüm und knallroten Lippen, aus deren verzerrtem Grinsen Zungenschnalzen und Grunzen ertönt. Im Hintergrund rühren drei Grazien die Saiten ihrer Harfen. Das Monster ist die Allegorie der Perversion eines vor allem auf Frauen bezogenen Schönheitskults, der die Frau auf ihre dem jeweiligen Zeitgeschmack angepasste Attraktivität reduziert.

Dies schmerzt nicht nur, es verstümmelt auch. Also schnallt sich die allegorische Figur Prothesen an die Beine, mit denen sie wie ein Science-Fiction-Untier vor den Harfenistinnen umherstakst – und tanzt. Hier geht es offenbar nicht um die Liebesmetapher im Märchen, sondern um das Klischee, das es transportiert: Schönheit kriegt den Prinzen, Prinz erobert die Schöne – tief verwurzelte Muster, die besonders heute profitbringend reproduziert werden.

Vater und Tochter

Etwas rapunzelhaft wirkt auch die Protagonistin in Veza Fernández' The Father Care Piece Piece, auf dessen Untertitel oder: Keine Angst, Papa spielt Theater! ohne Verlust hätte verzichtet werden können. Diese Tochter hat sich drei (Bühnen-)Väter gewählt, die von Frans Poelstra, Roland Rauschmeier und Yosi Wanunu mit entwaffnender Selbstironie dargestellt werden. Vater-Tochter-Beziehungen können – wie auch Mutter-Sohn-Verhältnisse – von Inzestwünschen kontaminiert sein. Dafür gibt es reichlich Belege aus der Psychoanalyse, und das Thema ist immer noch tabuumnebelt. Veza Fernández (30), eine Grazer Choreografin aus spanischer Familie, sucht und findet eine spielerische Art, mit den Gefühlswirren umzugehen, die sich zuweilen zwischen jungen Frauen und ihren nicht mehr so jungen Erzeugern entwickeln.

Papa-Triumvirat

Den drei Harfenistinnen bei Natt entsteht in Fernández' Papa-Triumvirat gewissermaßen ein antipodisches Modell. Die Herren repräsentieren das Gegenteil von Grazien, aber sie durchbrechen auch ein hässliches Stereotyp. Sie treten weder als politisch korrekte Weicheier noch als geile Bösewichte auf, sondern zeigen sich als Zeitgenossen, die dabei sind, das alte Patriarchenbild zu korrigieren – ohne die Verunsicherungen, die diese Entwicklung mit sich bringt, zu verdrängen.

Correctness basiert auf Moralismus mitsamt der dazugehörigen Gehässigkeit. Im Gegensatz dazu wird bei The Father Care Piece Piece nicht denunziert, sondern auf die emotionalen und kulturellen Verstrickungen von Vater-Tochter-Bindungen verwiesen. Dabei zeigt sich mit Offenheit gepaarter kritischer Respekt als Gegenmodell zur bitteren Hassrede. Daher: ein wichtiges Stück. (Helmut Ploebst, 4.12.2016)