Der Wahlsieg von Alexander Van der Bellen hat seinen künftigen Nachbarn auf dem Ballhausplatz, gegenüber der Hofburg, hörbar aufatmen lassen. Christian Kern sagte am Sonntagabend, er sei froh, dass der proeuropäische, verbindende Kandidat gewonnen habe. Kern lächelte breit und sichtbar erleichtert.

Noch einer lächelte breit: Wiens Bürgermeister Michael Häupl. Und er erteilte am Tag danach gleich einmal Rot-Blau auf Bundesebene eine Absage. Er, Häupl, könne da keine inhaltlichen Gemeinsamkeiten entdecken, sagte er zum STANDARD – und er vergaß auch nicht, eine kleine, feine, innerparteiliche Spitze gegen Hans Niessl abzufeuern. Da war sie wieder, die Häupl'sche Präsenz und Stärke, für die er, wie sonst höchstens noch Erwin Pröll, im politischen Betrieb bekannt ist. Zuletzt hatte Häupl anders gewirkt, deutlich leiser jedenfalls. Kern wie Häupl bietet der Wahlsieg Van der Bellens eine dringend benötigte Atempause – aber auch nicht mehr.

Michael Häupl erteilt Rot-Blau auf Bundesebene eine Absage.
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Dem Kanzler und SPÖ-Chef muss bewusst sein: Diese Pause wird nicht lange dauern. Denn der nächste Problemberg beginnt sich wohl bald aufzubauen. Schon jeder sozialdemokratische Jugendfunktionär lernt in seinen ersten Schulungen: ohne Mobilisierung kein Wahlsieg. Und genau daran krankt es derzeit in der SPÖ.

Kammerflimmern

Jene Landesparteien, die in der Vergangenheit die größte Mobilisierungskraft hatten und die verlässlichsten Wahlergebnisse lieferten, liegen inhaltlich und personell darnieder: Wien und Oberösterreich. Die Bundeshauptstadt, aus der Victor Adler stammte, das rote Wien, mit seinem aus der Zwischenkriegszeit stammenden Stolz einer durch und durch sozialdemokratisch regierten Stadt – und das Industrieland mit seiner nicht minder stolzen Stahlindustrie: Diese beide Herzkammern der SPÖ schlagen nicht mehr so recht im Takt, manch einer befürchtet gar Kammerflimmern, wenn die internen Querelen weitergehen.

Der burgenländische Landeshauptmann Hans Niessl koaliert mit der FPÖ in seinem Bundesland.
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Nehme man Wien. Häupl ist hier seit 7. November 1994 und also seit 22 Jahren im Amt, aber das Wort des "Königsmachers" zahlreicher roter Parteivorsitzender und Kanzler gilt längst nicht mehr unwidersprochen. Fast schon im Monatsabstand erheben sich kritische Stimmen, dringen Differenzen und Animositäten zwischen den Mitgliedern seiner Stadtregierung an die Öffentlichkeit. Ein "Machtwort" Häupls vor wenigen Wochen ist ungehört verhallt: Nach wie vor verlaufen die Gräben in der Wiener SPÖ zwischen links und rechts, zwischen Rot-Grün- und Rot-Blau-Sympathisanten, zwischen "Willkommenskultur" und "Das Boot ist voll"-Haltung, was die Flüchtlingsfrage betrifft.

Sperrfeuer der Kritik

Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely steht, neben Finanzstadträtin Renate Brauner und Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger, besonders im Sperrfeuer der Kritik. "Innenstadt- gegen Flächenbezirke", so lautet die Formel des Zwists, der einerseits von abmontierten Faymann-Fans geschürt wird, andererseits von den großen Bezirken, die schon vor der Flüchtlingswelle für eine härtere Ausländerpolitik eintraten.

Die Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely im Sperrfeuer der Kritik.
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Wehsely wird gleich an zwei Fronten angegriffen: Einerseits machen ihre Gegner, vornehmlich über die "Kronen Zeitung", gegen ihre Gesundheitspolitik mobil: Seien es lange Wartezeiten auf Operationen, volle Ambulanzen, die finanziell ausufernde Großbaustelle Krankenhaus Nord oder der besonders von Ärztevertretern gehasste Chef des Krankenanstaltenverbundes (KAV), Udo Janßen – es gibt kaum ein Gesundheitsthema, das Wehsely dort nicht, teils höchst untergriffig, angekreidet würde.

Die "Faymann-Frage"

Die andere Stoßrichtung ist die Flüchtlingspolitik, für die die "Parteilinke" steht. Viele politische Beobachter halten das für vorgeschoben – in Wahrheit gehe es darum, Rache zu nehmen an Werner Faymanns Demontage, für die sich Wehsely öffentlich engagiert hat.

Sie war es, die Häupl im Frühjahr drängte, in der "Faymann-Frage" eine Entscheidung zu treffen. Unterstützt wurde sie von ihrer Schwester Tanja Wehsely, Vizeklubchefin der SPÖ im Rathaus, die sich auch offen für einen Rücktritt Faymanns aussprach.

Das brachte Tanja Wehsely im Gegenzug Rücktrittsaufforderungen aus der eigenen Partei ein. Ausgesprochen hatte diese der Donaustädter Bezirksvorsteher Ernst Nevrivy, auch die Gemeinderätinnen Kathrin Gaal und Barbara Novak sprangen für Faymann und gegen die Wehselys in die Bresche.

Wenn Christian Kern Wahlen gewinnen will, muss er die parteiinternen Probleme erst lösen.
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Reformen gefordert

Alle drei stehen als Vertreter der sogenannten "Realo-Fraktion" auf der anderen Seite der Wiener SPÖ – und nach wie vor auf Konfrontationskurs mit dem linken Flügel. Auch wenn sich Nevrivy zuletzt im STANDARD klar gegen eine rot-blaue Koalition gestellt hat, fordert er Reformen ein, vor allem striktere Regeln bei der Zuwanderung. Der interne Konflikt schwelt weiter. Handelt Häupl nicht, ist ein neuerlicher Ausbruch nur eine Frage der Zeit.

Der Bürgermeister, der so gerne öffentlich poltert, trifft in Wahrheit aber nur ungern unangenehme Entscheidungen. Er war Wehsely dankbar, dass sie den Rammbock machte – und der neue Bundeskanzler und SPÖ-Chef Kern pflegt zu ihr, nicht nur wegen ihrer privaten Verbindung zu SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder, ausgezeichnete Kontakte.

Dass Häupl also seine Gesundheitsstadträtin von sich aus auswechselt, um die "andere" Seite der Partei zufriedenzustellen, ist eher unwahrscheinlich. Genauso unwahrscheinlich ist übrigens, dass er Brauner oder Frauenberger freiwillig ziehen lässt. Ersteres wäre ein Eingeständnis der von der Opposition so angeprangerten "Schuldenpolitik", Letzteres ein Signal für eine mögliche Kehrtwende in der Ausländerpolitik – und das will Häupl, der sich schon mehrfach bei Wahlen erfolgreich als FPÖ-Gegenpol inszeniert hat, schon gar nicht.

Ein Bild aus anderen Tagen: Die konstituierende Sitzung des Wiener Gemeinderats 2015: (v.l. vorne) Michael Ludwig, Renate Brauner, Michael Häupl, Ulli Sima, Andreas Mailath-Pokorny und (v.l. hinten) Christian Oxonitsch, Sonja Wehsely, Harry Kopietz und Sandra Frauenberger.
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Punktuelle Politik

Das alles gilt freilich nur unter der Prämisse, dass Häupl weiterhin die Zügel in der Hand hält. Daran zweifeln aber einige Kritiker – in beiden Lagern der immer gespaltener auftretenden Partei. Häupl müsse handeln, heißt es, sonst werde (er) gehandelt. Das Problem ist nämlich: Häupl macht seit Jahren punktuell Politik – etwa als er die Einführung des Gratiskindergartens verordnete. Ansonsten lässt Häupl die Zügel schleifen, jeder in seinem Team, und erst recht in den Bezirken, tut, was er für richtig hält.

Große interne Veränderungen an der Wiener SPÖ-Spitze gab es seit gefühlten Ewigkeiten nicht: Wohnbaustadtrat Michael Ludwig und Integrationsstadträtin Frauenberger sitzen seit fast zehn Jahren im Stadtsenat – damit gelten sie als die "Newcomer" in Häupls Regierungsteam. Brauner ist seit 20 Jahren Stadträtin, Andreas Mailath-Pokorny seit 15 Jahren Stadtrat.

Bewegung gab es nur bei den Landesparteimanagern: Georg Niedermühlbichler folgte 2014 Christian Deutsch. Im Juni dieses Jahres wechselte Niedermühlbichler zu Kern in den Bund und wurde Geschäftsführer, seine Nachfolgerin wurde Sybille Straubinger. Deutsch, der als Intimus von Faymann gilt, stellte sich als Gemeinderat aber zuletzt offen gegen Häupl und forderte eine baldige Amtsübergabe ein.

Georg Niedermühlbichler wechselt 2014 ins Amt des Landesparteimanagers, dann in den Bund. Mehr Personalbewegung gab es in Wien nicht.
Foto: Matthias Cremer

Sorgen wegen FPÖ-Erfolgen

Von Wahlgang zu Wahlgang registrieren die SPÖ-Funktionäre mit Unruhe die wachsenden FPÖ-Erfolge in der laut Eigenangaben "lebenswertesten Stadt der Welt". Zwar wurde bei der Bundespräsidentschaftswahl der rot-grüne Kurs von Häupl in Wien gestärkt, Alexander Van der Bellen schaffte hier einen Bundesländer-Rekordwert von 65,7 Prozent.

Für die rote Funktionärsriege sind aber die 34,3 Prozent für FPÖ-Kandidat Norbert Hofer auch nicht gerade beruhigend. Man fürchtet um die eigene Machtbasis, und viele sehen ihr Heil in einer Art Appeasementpolitik. In den Bezirken sieht man den Machtverlust bereits deutlich an den Ergebnissen vor allem der Flächenbezirke bei der letzten Bezirksvertretungswahl 2015: In Simmering regiert mit Paul Stadler erstmals ein freiheitlicher Bezirksvorsteher. In Floridsdorf rettete die SPÖ nur 1,2 Prozentpunkte Vorsprung vor den Blauen ins Ziel, in Favoriten waren es 2,2 Prozentpunkte.

Nur scheinbar verhält sich Kern daher neutral zu den Wiener Querelen. Eine schwache Wiener SPÖ, die primär mit sich selbst beschäftigt ist, kann schlecht mit voller Schlagkraft für ihn wahlkämpfen. Dass Kern dies bewusst ist, zeigte auch die Radiodiskussion mit Strache.

Möglichst breite Aufstellung

Kerns Worte waren genau austariert: Er signalisierte einerseits dem Rot-Blau-Lager, dass er dessen Überlegungen versteht – und andererseits den Rot-Grünen in der SPÖ, dass er sich inhaltlich nicht allzu sehr verbiegen will. Das scheint insgesamt das Credo zu sein, auch jenes, das Kerns PR-Berater Tal Silberstein predigt: möglichst breit aufstellen. Das beinhaltet auch eine Aufwertung von Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil, der als Burgenländer und Sicherheitspolitiker die rechte rote Flanke abdeckt.

Und die Pattstellung in Wien könnte dann glatt als Teil einer höheren Strategie verkauft werden. Was diese übrigens bis dato aufrechterhält, ist der Mangel an geeigneten Alternativkandidaten zu Häupl. Kaum jemand glaubt noch, dass die Proponenten der beiden Lager, Wehsely und Ludwig, noch Chancen auf die Häupl-Nachfolge hätten. Und die langjährige Faymann-Vertraute Doris Bures überzeugt nicht einmal dort alle, die Widerstände gegen die Nationalratspräsidentin sind nicht gerade klein.

Nur wenige Stunden vor dem oberösterreichsichen Landesparteitag 2016 trat Reinhold Entholzer zurück.
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Eine Situation zwischen Elend und Not sieht Kern auch, wenn er sich donauaufwärts gen Linz wendet. Nur mehr Parteigeschichte sind heute die Tage der roten Macht in dem Industriebundesland. Wehmütig trauern die Genossen legendären Zeiten nach, in denen ein Anruf des damals als "Betriebskaiser" titulierten Voest-Zentralbetriebsratsobmanns Franz Ruhaltinger bei "Genosse Kreisky" genügte, damit Manager und Eigentümervertreter nach seiner Pfeife tanzten. Höhepunkt war das Jahr 1969. Damals erreichten die Sozialisten 45,95 Prozent der Stimmen und waren damit die stärkste Partei im Land. Doch das Amt des Landeshauptmanns blieb ihnen verwehrt. Denn ÖVP und FPÖ schlossen einen Pakt, der Heinrich Gleißner erneut das Amt sicherte.

Roter Sinkflug

Vom Landeshauptmannsessel wagt man heute in der roten Landeszentrale an der Linzer Landstraße nicht einmal mehr zu träumen. Die letzten Jahre waren für Oberösterreichs Genossen ein einziger Sinkflug. 2009 galt es bei der Landtagswahl die erste schwere Niederlage zu verdauen: Die SPÖ sackte von 38,3 auf 24,9 Prozentpunkte ab. Der damalige Parteichef Erich Haider warf entnervt seinen Job hin.

Womit sich in den roten Reihen ein Personalproblem auftat: Haider hatte sich an der Spitze der Landes-SPÖ stets als konsequent beratungsresistent erwiesen und keinen Kronprinzen geduldet. Was sich in Zeiten der Niederlage für die Partei bitter rächte. Letztlich musste das rote Urgestein Josef Ackerl die geplante Politpension verschieben und die Partei übernehmen.

Doch zurück zu alter Stärke fand man auch unter dem "roten Joschi" nicht. Schier verzweifelt war die Suche nach einem neuen Profil. Der groß angekündigte Erneuerungsprozess "morgen.rot" war nach zwei Jahren Reformarbeit maximal reif für die unterste Schreibtischlade. Im November 2013 übernahm der Gewerkschafter Reinhold Entholzer die schwer angeschlagene Partei.

Vorläufiger Tiefpunkt

Doch man blieb auch unter neuer Führung nur einem Motto treu: Ein bisschen weniger geht immer. Vorläufiger Tiefpunkt: Bei der Landtagswahl im September des Vorjahres fuhr man mit mageren 18,4 Prozent das schlechteste Ergebnis in der Parteigeschichte ein – und musste den zweiten Platz im Land für die FPÖ räumen.

Entholzer klammerte sich dennoch verzweifelt am Chefsessel fest, das Ende war aber bereits besiegelt: Als der oberösterreichische Parteichef Mitte Jänner 2016 eine neue Partei-Geschäftsführerin einsetzen wollte, legte der Linzer Bürgermeister Klaus Luger aus Protest seine Parteifunktionen zurück. Worauf Entholzer – nur wenige Stunden vor dem Landesparteitag – entnervt als Parteichef zurücktrat und AK-Präsident Johann Kalliauer als Interims-SPÖ-Parteichef übernahm.

Mit Birgit Gersthofer übernahm im Juni 2016 erstmals eine Frau die Landes-SPÖ in Oberösterreich.
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Die Suche nach einem definitiven SPÖ-Chef gestaltete sich erwartungsgemäß schwierig. Letztlich erklärte sich die damalige AMS-Landeschefin Birgit Gerstorfer bereit, den derzeit politisch wohl heikelsten Job in Oberösterreich zu übernehmen. Im Juni wurde Gerstorfer zur ersten Parteichefin in der Geschichte der Landes-SPÖ gewählt.

Die Parteiführung hat Gerstorfer bislang ruhig und sachlich angelegt. Wohl die ideale Voraussetzung, um die Scherben der letzten Jahre aufzuräumen und die Genossen zu einen. Doch für eine rote Auferstehung wird es deutlich mehr brauchen. (David Krutzler, Markus Rohrhofer, Petra Stuiber, 10.12.2016)