Der Tanz um die Wahrhaftigkeit: "Macht und Widerstand", eine Koproduktion des Schauspiels Hannover mit dem Deutschen Theater Berlin. Zweiter von rechts: Samuel Finzi als Scheitanow.

Foto: Katrin Ribbe

Den Kopf leicht seitlich geneigt, die Schultern hochgezogen, in den Händen lässt sich ein ständiges Zittern nicht ganz verbergen: Der aus Bulgarien stammende Schauspieler Samuel Finzi spielt den alten Mann Scheitanow. In den 1950er-Jahren hatte Scheitanow, Dissident und Anarchist, einen Bombenanschlag auf ein Stalindenkmal verübt, war dafür jahrelang in Gefängnissen und Lagern misshandelt worden und ist nun, fast schon zerbrochen, nur mehr darauf aus, dass ihm endlich noch Gerechtigkeit widerfahre.

Liebe könne er sich, erklärt Finzi in leicht osteuropäischem Akzent, als "emotionalen Komfort" nicht leisten. Doch die Namen seiner Denunzianten und Folterer sind in den Archiven eingeschwärzt und oft unzugänglich, die Prozessakten unvollständig. Die bulgarische Gesellschaft übt die Kunst der Beschönigung, Verdrängung und Anpassung. Scheitanow wird als Spinner und Eigenbrötler ausgegrenzt.

Sein Gegenspieler ist der Folterer Metodi, ein hoher Funktionär und Machtmensch, der weiterhin an die Ideale des Kommunismus glaubt, der sich durchzuwinden wusste und dem schließlich die postsozialistische Gesellschaft so gar ein Denkmal setzt. Markus John spielt einen durchaus nicht unsympathischen, vielleicht etwas geschwätzigen Pragmatiker, der sich ebenfalls immer wieder seiner Lebensgeschichte vergewissern muss.

Opfer und Täter auf dem Podest

Verblüffend, wie theatralisch effektvoll Ilija Trojanows ein halbes Jahrhundert bulgarischer Geschichte abhandelnder Roman Macht und Widerstand in der minimalistischen Inszenierung von Dušan David Pařízek wirkt. Lediglich ein Podest, das in den Zuschauerraum ragt, dahinter wie in einer Kantine Stühle und Bänke, auf denen die Schauspieler auf ihre Auftritte warten. Overheadprojektoren projizieren Prozessdokumente auf Leinwände. Neben Opfer und Täter lediglich nur noch zwei Darsteller.

Hennig Hartmann: Er gibt die selbstmitleidig weinerlichen Verwaltungsrichter und Archivare, die Scheitanow wie einen kafkaesken Bittsteller erscheinen lassen. Sarah Franke ist jene Frau, die den Folterer Metodi damit konfrontiert, dass sie wohl seine Tochter sei, da er ihre Mutter im Gefängnis vergewaltigt hat. Doch auch sie will die Wahrheit nicht mehr so genau wissen und sich lieber sozial arrangieren.

Tanz voll Traurigkeit

Macht und Widerstand ist ein Tanz voll bitterer Traurigkeit, auch wenn die Darsteller hin und wieder zum Blasmusikquartett werden und Finzi in Frauenkleidern plötzlich komödiantisch als bigotte Ehefrau ausrastet. Folterszenen sind nicht ausgespart, aber leise und damit umso unerträglicher, und es fehlen auch nicht jene lauten, geschmacklosen Feiern, die es in Bulgarien tatsächlich gab, als sich nach Ende des Sozialismus ehemalige Funktionäre als Dissidenten und verfolgte Regimegegner verkleideten.

Sicherlich überzeugt auch die Authentizität von Autor, Regisseur und Darsteller. Trojanow und Finzi hatten Kindheits- und Jugenderfahrungen in Bulgarien nachgespürt, Pařízek der Biografie seines Vaters, eines Prager Dissidenten. Doch eine beschädigte Gesellschaft voller Spitzel und Anpassung ist wohl nicht auf den Ostblock Ende der 1990er beschränkt. Ein beklemmend aktueller Abend in Hannover. (Bernhard Doppler aus Hannover, 19.12.2016)