"Schöne neue Welt" im Zeitalter der Genschere CRISPR/Cas9
Er ist der zurzeit mit Abstand erfolgreichste österreichische Schriftsteller, auch wenn er immer wieder für einen Schweden gehalten wird. Schuld daran trägt das Pseudonym Marc Elsberg, eine Kurzversion von Marcus Rafelsberger, der unter diesem Namen vor vielen Jahren STANDARD-Kolumnen und nach dem Jahr 2000 auch mehrere Krimis schrieb.
Der große Durchbruch gelang dem Wiener, der Anfang Jänner 50 Jahre alt wird, dann aber unter abgekürztem Namen und mit einem Wechsel ins Genre der Wissenschafts- und Technologiethriller: "Blackout – Morgen ist es zu spät" erschien 2012, erzählt von den katastrophalen Auswirkungen eines großflächigen Stromausfalls in Europa und wurde allein auf Deutsch zum Millionenseller.
Sein Gespür für gute Themen, seine gründlichen Recherchen und sein handwerkliches Können fanden 2014 mit "Zero – Sie wissen, was du tust" ihre prompte Fortsetzung, einem Thriller über Big Data und Datenschutz. Wieder zwei Jahre später liegt nun mit "Helix – Sie werden uns ersetzen" der dritte Teil einer Serie vor, die keine Vergleiche mit den Bestsellern von Michael Crichton scheuen muss. Der US-Autor war bis zu seinem frühen Tod 2008 der unbestrittene Genre-Primus und hat in Elsberg einen würdigen Nachfolger gefunden.
Dessen neues Opus, das auf über 600 Seiten seine Leser klug und spannend unterhält, ist dem Thema Gentechnik gewidmet und spielt in einer unbestimmten nahen Zukunft, irgendwann in den 2020er-Jahren. An der Spitze der USA steht eine Frau als Präsidentin, die nicht Hillary Clinton heißt; ihr Außenminister fällt zum dramatischen Auftakt des Buchs einem Attentat zum Opfer. Bald wird klar: Es war Bioterror.
Jessica Roberts, die zum Stab des ermordeten Ministers gehörte, leitet die eigens eingesetzte Taskforce, die im Laufe der nächsten neun Tage nicht nur mit der Aufklärung des Politikermords beschäftigt sein wird. Das eigentliche Hauptthema des Genetik-Thrillers ist nämlich der mögliche Einsatz der Genschere CRISPR/Cas9 beim Menschen zur Herstellung von Designerbabys; sein Nebenthema die Verwendung der gleichen Technik zur Erzeugung verbesserter landwirtschaftlicher Nutzpflanzen und Nutztiere.
Die biologische Modifizierbarkeit von Lebewesen ist in der "schönen neuen Welt" von Elsberg um einiges weiter fortgeschritten als heute. Dafür ist nicht zuletzt bereits jene erste Generation von Kindern verantwortlich, die in Elsbergs neuem Bestseller in Kalifornien unter strenger Geheimhaltung mit einem verbesserten Genom ausgestattet wurden: Die frühreifen Genies Jill und Gene betätigen sich bereits im jugendlichen Alter selbst als Biohacker.
Im Laufe der nicht weniger als 134 knappen Kapiteln verknüpft Elsberg alle Themen und Handlungsstränge – also Bioterrorismus, Designerbabys und Genome-Editing – höchst gekonnt, ehe das Ganze in einem dramatischen Finale in Brasilien kulminiert und dennoch einige Fragen offenlässt. Wissenschaftlich ist der Autor dabei auf der Höhe der Zeit: Er vermittelt en passant den aktuellen Stand der Forschung in Sachen CRISPR/Cas9.
Allenfalls ist zu beanstanden, dass es in "Helix" insgesamt sehr gendeterministisch zugeht, obwohl gerade in Sachen Intelligenz klar ist, dass diese eben nicht nur in den Genen liegt. Doch das ist nolens volens dem Plot des Thrillers geschuldet, der neben bester Unterhaltung en passant etwas Wichtiges leistet: die dank CRISPR/Cas9 akut gewordenen bioethischen Probleme für eine breite Öffentlichkeit aufzubereiten. (tasch)
Marc Elsberg
Helix
Sie werden uns ersetzen
Blanvalet-Verlag 2016
647 Seiten, 23,70 Euro