In Salem, Massachusetts, wird besonders furchtlos gegen den ruchlosen Satan ermittelt: Michael Maertens (sitzend re.) und Ignaz Kirchner (links von ihm) staunen im Wiener Burgtheater über die schmerzlichen Ekstasen des Mädchens Mary Warren (Marie-Luise Stockinger). Für zahllose Opfer bedeutet das nichts Gutes.

Foto: Reinhard Werner/APA/Burgtheater

Wien – In Salem, Massachusetts, wird noch der frömmste Christenmensch seines Lebens nicht froh. Auf der tintenschwarzen Bühne des Wiener Burgtheaters steht ein ganzer Hochwald aus groben Holzkreuzen (Ausstattung: Martin Zehetgruber).

Rund ein Dutzend Mädchen schwärmen aus, um sich die Zeit lustbringend zu vertreiben. Die Töchter sind Puritanerkinder. Sie fläzen sich auf Sessel, um sich behutsam ihrer adretten Kleidungsstücke zu entledigen: fehlfarbene Blusen und Röcke, die man so vielleicht nur in einer Gesellschaft erwerben kann, die jeglichem Kommerz abhold ist.

In Arthur Millers Hexenjagd (1953) wird das Erwachen weiblicher Sexualität zielsicher mit dem Wirken des Teufels identifiziert. Das Keuchen der Masturbierenden kann und darf es nicht geben, es sei denn, Beelzebub zieht die schwachen Sünder in sein Lager hinüber.

Furcht vor der Fleischlichkeit

Auch so lässt sich Millers Gleichnis auf die Gesinnungsschnüffelei der McCarthy-Ära deuten: Die Pastoren und Bauern von Salem leben in panischer Furcht vor der eigenen Fleischlichkeit. Dem Dorfgeistlichen Parris (Philipp Hauß) tritt der saure Schweiß der Angstlust in Bächen auf die Stirn. Das eigene Kind (Irina Sulaver) liegt paralysiert im Bett. Parris muss die nackenden Mädchen im Wald gesehen haben. Zeit, das Naheliegende mit bigotter Inbrunst zu leugnen.

Man staunt über den pechschwarzen Ernst von Martin Kusejs Inszenierung. Aus der Verstellungskunst der Mädchen erwächst erst das eigentliche Drama. Die spröd-blonde Abigail (Andrea Wenzl) diktiert die Sprachregelung unter den Spurenverwischerinnen.

Honorige Bürger der Gemeinde hätten die Backfische behext. Der puritanische Gerichtsapparat tritt auf den Plan. Reverend Hale (Florian Teichtmeister) schneit herein, um bedächtig rauchend und bücherwälzend den Anschlag des Teufels zu vereiteln. Eine umrissscharfe Tschechow-Figur, nur leider hält sie sich im falschen Kruzifixwald auf.

Traumlicht der Einbildung

Der Agent der Aufklärung ist ein störrischer Bauer namens Proctor (Steven Scharf). Er lebt in zerknirschter Ehe mit der geschmerzten Elisabeth (Dörte Lyssewski) zusammen. Leider hat er mit Abigail Ehebruch begangen, will aber jetzt von ihr nichts mehr wissen.

Die Rache der Verleumderin macht indes auch vor ihm und seiner Frau nicht halt. Und so sperrt Scharf immer ungläubiger die Augen auf. Die Kreuzesstätte beginnt zu rotieren. Im roten Traumlicht der Einbildung irrt der biedere Landmann, der sich sonst in seinen Pullover zu schnäuzen pflegt, nackt, wie Gott ihn schuf, zwischen den Säulen herum.

In diesem Augenblick von rarer Poesie grüßt tatsächlich Herr Kafka aus Prag sehr herzlich nach Massachusetts hinüber. Sonst meint man eher, sich in der groben, stark schattseitigen Welt von Karl Schönherr wiederzufinden. Verstörend, wie wenig Kusej sich um den Rhythmus der Aufführung schert. Ärgerlich, wie monoton der Text von der Rampe herunterfließt.

John Proctors Albtraum

Im dritten Akt verwandelt sich der Wald in eine Gemeindestube mit Kunstlicht. Es wird Gerichtstag gehalten, und Oberrichter Danforth (Michael Maertens) kann mit gaumigem Singsang die Landmenschen einschüchtern. Man gewahrt zustimmend, dass Ignaz Kirchner als Beisitzer Hathorne seine ganze Dämonie aufblitzen lässt. Das als Entlastungszeugin aufgebotene Mädchen Mary (Marie-Luise Stockinger) entblößt sich tapfer, um Satans Macht in die Schranken zu weisen. Es hilft alles nichts.

Für John Proctor und viele andere unsichtbare Opfer nimmt das Wirken der Justiz kein gutes Ende. Scharf, Bewohner eines Albtraums, wird den Kopf in die Schlinge stecken und sein Keuchen mit dem der Verleumderinnen mischen. Es bleibt indes völlig rätselhaft, was Kusej eigentlich erzählen wollte. Aberglaube ist eine schlimme Sache. Das Publikum wollte sich dieser ehrwürdigen Einsicht nicht verschließen und zollte einer matten Aufführung anerkennenden Applaus. (Ronald Pohl, 23.12.2016)