In unmittelbarer Pistennähe und doch in alpiner Einsamkeit führen Loipen rund um Galtür bis auf eine Seehöhe von 2.040 Meter.

Foto: Galtür Tourismus/Maxum

Meist herrschen perfekte Bedingungen fürs Höhentraining.

Foto: Galtür Tourismus/Maxum

Das ist mit Einsamkeit gemeint.

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Nacht-Skaten zwischen Galtür und Wirl.

Foto: Galtür Tourismus/Maxum
Foto: Galtür Tourismus/Maxum

Wenn’s um Wintersport geht, lassen sich die Österreicher nicht gerne vom Stockerl verdrängen. Aber im tirolerischen Galtür sind sie selbst daran schuld. Sie räumen den Platz ganz oben freiwillig und also ein, dass vor allem die Finnen und Briten dafür verantwortlich sind, dass der Langlauf in dem Bergdorf so eine große Rolle spielt. Warum das so ist? Das wollen wir auf den Loipen vor Ort herausfinden.

Der erste Versuch, Licht ins Dunkel zu bringen, erfolgt beim Nacht-Skaten. Die zweieinhalb Kilometer lange Strecke zwischen Galtür und Wirl, dem letzten bewohnten Örtchen des Paznauntals, ist perfekt in Schuss. Da taucht im dichten Schneetreiben eine blau-weiß geflaggte Mütze auf, unter der ein durchtrainierter Skater steckt. Für diesen Fall haben wir uns zwei Brocken Finnisch zurechtgelegt: "Hyvää Päivää – Guten Tag". Der Sportler antwortet nur: "Häh?" Wir versuchen es auf Englisch und werden verstanden. Ah, ein Brite. Nachdem er uns aufgeklärt hat, dass die Mütze von einem finnischen Hersteller stammt, er selbst aber rein gar nichts mit dem Land am Hut hat, stellt sich heraus, dass er aus dem nahen Appenzell stammt.

Ordentlich Kondition notwendig

In der Tat kommen viele Bodensee-Schweizer über den Arlberg nach Galtür. Die rund 150 Kilometer Loipen in schneesicheren Lagen zwischen 1.377 und 2.040 Meter Seehöhe, perfekte Bedingungen fürs Höhentraining sowie beleuchtete Strecken locken sie. Und die Finnen oder Briten? Die Dame im Tourismusbüro muss bei der Frage passen: "Scheinen nicht auf in den Top-Ten der Herkunftsländer unserer Gäste"

Wir entschließen uns, die aktive Suche vorübergehend einzustellen und uns auf das eigene Training am Koppsee zu konzentrieren. Dafür braucht man ordentlich Kondition, denn es sind rund 300 Höhenmeter ab Galtür. Immerhin kann man wählen zwischen einem steilen und einem sehr steilen Anstieg. Wir entscheiden uns für den ersten und wundern uns, als es unter einem Sessellift durchgeht. Wenig später sehen wir die ersten Skifahrer, die vor uns über die eisige Piste kratzen. Die müssen wir nun passieren. Wir queren eine rot markierte Abfahrt, sausen einen blauen Ziehweg entlang. Danach sind wir wieder im Langlauf-Land.

Es ist erstaunlich: Der Skizirkus ist nur wenige Meter entfernt, aber wir hören und sehen nichts davon. Ringsum mächtige Gipfel und stolze Dreitausender. Kein Baum versperrt die Aussicht. Der einzige Begleiter hier oben heißt Einsamkeit. Das lässt uns wieder an die Finnen denken. Doch auf der Tiroler Loipe taucht weit und breit keiner auf.

Recherche in der Parkgarage

Die Suche führt uns am Abend ins nahe Ischgl. Après-Ski und Fine-Dining sind uns wurscht. Unser Ziel ist die neue Parkgarage für Autos aus aller Welt. Man stößt auf Porsches aus Polen, schwedische Skodas und belgische Busse, findet aber weder finnische Kennzeichen noch Autos mit Lenkrad auf der falschen Seite. Nach einem Frust-Bier folgt die letzte Enttäuschung des Tages im Hotelzimmer: Kein einziger englischer Sender im TV, keine Doku über finnischen Tango. Erst am nächsten Tag wird Bergführer Christoph Pfeifer das Geheimnis um die beiden Nationen lüften.

Vor die Aufklärung hat Pfeifer noch das Trainingsprogramm hinauf zur Bieler Höhe gesetzt, die im Winter nur mit Schneemobil oder Skiern zu erreichen ist. "Oben haben wir Zeit, da erzähle ich euch alles." So skaten wir durch ein enges Tal, die Anstiege sind teils heftig, sodass man die eindrückliche Landschaft rundherum nicht immer wahrnimmt. Pfeifer blickt prüfend auf die tiefverschneiten Hänge ringsum: "Heute sieht es ganz gut aus."

Der Bergführer ist Mitglied der Lawinenkommission, am Vortag haben er und seine Kollegen das Tal und damit auch die Langlaufstrecke gesperrt, weil es zu warm war und das Risiko dadurch hoch. Man ist vorsichtig geworden in Galtür, wo sich 1999 eine verheerende Lawinen-Katastrophe ereignete, die 38 Menschen das Leben kostete. "Wir haben gelernt, nach vorne zu blicken."

Das Ziel vor Augen

Im übertragenen Sinn gilt das auch für uns Langläufer, denn das Ziel haben wir bereits vor Augen. Oben am Pass sehen wir den Berggasthof Piz Buin, davor liegt aber noch ein anstrengender Anstieg, der diretissima nach oben führt. Die Beine fangen an zu schmerzen, für Anfänger ist das nicht mehr machbar. Die Umfahrung ist wegen des starken Schneefalls in der letzten Nacht noch nicht gespurt. Also ziehen wir die Langlaufski aus und gehen zu Fuß.

Als wir die Kuppe erreicht haben, liegt vor uns der Silvrettasee. Dahinter thront der berühmte Piz Buin, der am selben Tag Jahren seine Erstbesteigung erlebte wie das Matterhorn. Den Gipfel sehen wir später auf Fotos, denn aktuell geht die Sicht gegen null, weil ein Schneesturm tobt. Wir flüchten erst einmal hinter die hohen Glasscheiben des Gasthauses. Ein paar Hartgesottene geben uns die Türklinke in die Hand – auf ihrem Weg hinaus in den Eissturm. "Lawinenrettung üben, es hat ideale Bedingungen", sagt einer von ihnen und packt die Schaufel in den Rucksack. "Schau an, die Schweizer", sagt Pfeifer anerkennend.

Dann kamen die Briten

Wir greifen das Thema "Finnen und Briten" wieder auf und erinnern den Bergführer an sein Versprechen. "Mit den Finnen fing alles an", sagt er knapp. Sie infizierten Adolf Zangerle, einen Förster aus Galtür, den die Kriegswirren in den hohen Norden verschlagen hatten. Bei seiner Heimkehr hatte er die ersten Langlaufski in der Region im Gepäck und finnische Freunde an seiner Seite.

Dann kamen die Briten. Sie trugen im Galtür der 1960er-Jahre ihre Armee-Meisterschaft im Biathlon aus, weil ihnen daheim der Schnee dafür fehlte. "Schießen konnten sie ja, aber im Langlauf waren sie hundsmiserabel", sagt Pfeifer. Und heute? Der Bergführer: "Die Finnen haben ihre Entwicklungshilfe geleistet, und die Engländer haben eingesehen, dass sie kein Talent haben." (Christian Schreiber, 23.1.2017)

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