Die Zerreißprobe der Sozialisten ist nur eine Folge der tektonischen Umschichtung, die die französische Politik erfasst hat. Noch im Herbst hätte sich niemand auch nur vorzustellen gewagt, dass es im Präsidentenrennen dermaßen drunter und drüber gehen würde.

Bei den konservativen Republikanern, den großen Favoriten nach der mühseligen Hollande-Amtszeit, wurde zuerst in kürzester Zeit Nicolas Sarkozy weggefegt, der sein Comeback jahrelang geplant hatte. Dann traf es Alain Juppé, der das ganze Jahr über die Meinungsumfragen souverän angeführt hatte. Binnen Wochenfrist schoss François Fillon an die Spitze der konservativen Primärwahl. Jetzt wankt sein Sockel bereits wieder wegen der Scheinjob-Affäre seiner Ehefrau Penelope.

Und wer hätte zum Jahreswechsel prophezeit, dass der kleine Parteirebell Benoît Hamon die Sozialisten in den Präsidentschaftswahlkampf führen würde? Fast über Nacht hat sich der linkische Linke zum Leader eines Regierungslagers gemausert, dessen zentrale Gesetzesvorlagen er mit allen Mitteln bekämpft hat.

Weg mit dem Alten

Kein Zweifel, die Franzosen wollen politisch aufräumen. Weg mit dem Alten, ja, den Alten, lautet ihre doch eher schlichte Botschaft. Noch spektakulärer ist der kometenhafte Aufstieg des parteilosen, noch nicht 40-jährigen Emmanuel Macron, dem die Herzen der halben Nation zufliegen, obwohl sein Programm sehr nebulös bleibt.

All diese Entwicklungen waren vor drei Monaten noch unvorhersehbar. Bis zur Präsidentschaftswahl werden aber weitere drei Monate vergehen. Ergo kann der aktuelle Stand des Kandidatenrennens noch völlig über den Haufen geworfen werden. Ob wegen des Hollande-Fiaskos oder der Trump-Wahl: Ein Wirbelwind hat die französische Politik erfasst, und die Politologen fragen sich nur noch, ob sie eher von "Implosion" oder "Explosion" reden sollen.

Wer im Mai in den Elysée-Palast einziehen und die Geschickte Frankreichs fünf Jahre lang leiten wird, scheint unter diesen Umständen schlicht unwägbar. Jahrelanger politischer Aufbau zählt nicht mehr – den Ausschlag wird im Mai die gerade herrschende politische Konstellation geben. Alles wird möglich, selbst das bisher Undenkbare. Zum Beispiel auch ein Sieg der Front-National-Kandidatin Marine Le Pen. (Stefan Brändle, 30.1.2017)