Wien – Aufführungen von Puccinis Tosca sind grundsätzlich eine spannende Sache. Ein Mord, eine Hinrichtung und ein Selbstmord, dazwischen Liebe, Leidenschaft und herzerwärmende Melodien. An der Wiener Staatsoper beschloss man, alles noch aufregender zu machen, indem man einen Dirigenten verpflichtet, der das Orchester durch ungewöhnliche Lenkungsmaßnahmen immer wieder vom rechten Kurs abbringt: Plácido Domingo.

Es war kurz nach dem ersten Auftritt Scarpias – der Despot hatte gerade den Attavanti-Fächer entdeckt -, als sich heftige tektonische Verschiebungen ereigneten und Streicher und Blechbläser Puccinis Werk nicht mehr synchron, sondern zeitlich verschoben interpretierten – was der spätromantischen Oper eine überraschend avantgardistische Note verlieh. So spielte man einige Zeit gleichzeitig und doch hintereinander her, eine ungewöhnliche Übung für die Mitglieder des Staatsopernorchesters.

Ob der kollektiven Kakofonie machte sich Verunsicherung breit, immer mehr Musiker verloren den Mut, es wurde leiser und leiser im Orchestergraben und leider auch nicht synchroner. Man erwartete, dass Domingo das Jammerspiel der letzten Aufrechten jeden Augenblick abbrechen würde. Doch Herr Puccini rettete die Situation: In der Partitur endete das Wirken des Blechs, und die Streicher und Baron Scarpia setzten die Sache nach einem Ruhemoment fort. Vor dem großen Schlussmonolog des Bösewichts ereigneten sich wieder Momente ungeplanter Stille. Irgendwann war der erste Akt dann irgendwie geschafft.

Glühender Motivator

In den beiden Folgeakten gab es zwar keinen Beinahe-Crash mehr, doch etliche Ungenauigkeiten, schwammige Stellen und falsche Einsätze. Aber auch viel Leidenschaft: Domingo war ein glühender Motivator, zelebrierte einiges sehr. Und natürlich ist der Sound des Staatsopernorchesters bei der Tosca immer ein großes Glück.

Die Bühne ließ sich vom schwankenden Untergrund im Orchestergraben nicht groß beeindrucken: Die energisch und eilig singende Sae Kyung Rim erinnerte als Tosca an ein durchsetzungsfähiges, trotziges Kind, Aleksandrs Antonenko (als indisponiert angesagt) gab einen schneidigen Cavaradossi – wenn er nicht gerade hustete. Und Marco Vratogna agierte als Scarpia über dem temporären Chaos des Grabens wie ein wahrer Souverän. Jubel auch für den Dirigenten. Fazit: Domingo darf alles. (Stefan Ender, 1.2.2017)