"Die Basis jeder Dramaturgie ist der Zweikampf", sagt Werner Schneyder. In seinem Buch "Gespräch unter zwei Augen – Dialog eines Lebens" tritt der 80-Jährige in Widerstreit mit sich selbst.


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Wien – Seine Jugend in Klagenfurt verbrachte er zwischen Stadttheater und Fußballplatz. Er textete Werbeslogans, arbeitete als Barsänger und Kampfrichter, wuchs an der Seite von Dieter Hildebrandt zu einer Instanz des Kabaretts heran. Daneben führte er Regie, verfasste Lyrik, Aphorismen und kurze Prosa. 80-jährig zieht Werner Schneyder nun Bilanz. In Gespräch unter zwei Augen – Dialog eines Lebens (Amalthea) führt er ein Streitgespräch mit sich selbst. Kurzweilig, mit Pointe und Punch.

STANDARD: Ist Ihr Buch auch eine Hommage an die Schwierigkeit, im Leben Entscheidungen zu treffen?

Schneyder: Ich habe Entscheidungen immer so getroffen, dass für Außenstehende der Eindruck entstehen musste, ich hätte überhaupt keine Selbstzweifel. Natürlich habe ich innerlich sehr wohl mit mir gestritten. Das, wenn Sie so wollen, zeigt auch mein Buch.

STANDARD: War Ihre Mehrfachbegabung im Rückblick mehr Fluch oder Segen?

Schneyder: Schon mehr Segen. Weil der Unterhaltungswert meines Lebens groß war. Fluch war es insofern, dass man in den einzelnen Sparten – mit Ausnahme des Kabaretts – nie zur Spitze durchstarten konnte. Für die Hüter der Zünfte, besonders in der Literatur, ist Vielseitigkeit ja unseriös.

STANDARD: In der Literatur wären Sie gern erfolgreicher gewesen?

Schneyder: Mit meinem Erfolg war ich zufrieden, die Bücher waren keine Bestseller, aber sie haben sich verkauft. So wie es war, war es im Rückblick schon richtig.

STANDARD: Heute 20- bis 35-Jährigen sagt man nach, sie litten angesichts zu vieler Möglichkeiten an Entscheidungsschwierigkeiten. Was raten Sie denen?

Schneyder: Ich fühle mich in keiner Weise befugt, jungen Menschen etwas zu raten. Die befinden sich in einem neuen Koordinatensystem. Das Digitalzeitalter begreife ich nicht. Social-Media-Plattformen zum Beispiel sind für mich in Wahrheit asoziale Medien. Entscheidungen hängen mit dem persönlichen Wohlergehen zusammen. Das kann man ökonomisch oder ethisch definieren. Jedem Menschen muss überlassen bleiben, worauf er mehr Wert legt.

STANDARD: In Ihrem Buch führen Sie Probleme wie Arbeitslosigkeit, Flüchtlingsströme und Rechtspopulismus auf eine gemeinsame Ursache zurück: das Ende des Wachstums und die große soziale Ungleichheit in der Welt.

Schneyder: In letzter Zeit hat man uns vorgerechnet, dass die acht reichsten Milliardäre der Erde genauso viel besitzen wie die ganze ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Man spricht oft von "unermesslichem Reichtum". Das ist gelogen. Er ist messbar, und es läge in den Händen der Finanzämter, darauf zuzugreifen. Und Menschen, die Angst haben zu verdursten, trinken auch Schlamm. So erklärt sich etwa das Phänomen Trump.

STANDARD: Als Gegenmaßnahme fordern Sie zum Beispiel die Finanztransaktionssteuer.

Schneyder: Mir hat einmal ein bekannter Kapitalist gesagt: "Jede Sekunde drückt jemand auf einen Knopf und verschiebt ein paar Millionen. Wenn jeder dieser Knopfdrücke zehn Cent kosten würde, gäb's auf der Welt keine Armut mehr." Ich habe ihn dann gefragt: "Und warum wird das nicht gemacht?" Da hat er nur mit den Achseln gezuckt. Es muss auch eine Arbeitszeitverkürzung her, denn wenn man sagt: "Je weniger Arbeit es gibt, desto mehr sollen die arbeiten, die eine haben", dann ist das die Logik eines Irrenhauswitzes.

STANDARD: Sie sind prinzipiell der Sozialdemokratie zugetan. Ist sie Ihnen heute zu wenig links?

Schneyder: Ich war nie Mitglied, aber ich begreife mich als freischwebenden Linken. Und ja: Die Sozialdemokratie müsste ihren sozialen Internationalismus wiederentdecken. Nur das scheint irgendwie nicht mehr möglich zu sein. Stattdessen ist der Nationalismus im Vormarsch.

STANDARD: Was halten Sie von Christian Kern?

Schneyder: Zunächst traute ich ihm einiges zu. Aber mein Urteil kann ich erst im nächsten Wahlkampf präzisieren. Da muss es dann darum gehen, diese unsägliche große Koalition zu beenden.

STANDARD: Außer Rot-Blau scheint es aber derzeit keine Alternativen zu geben. Wäre das für Sie denkbar?

Schneyder: In Deutschland habe ich immer gesagt, die Anwesenheit einer Linkspartei im Parlament ist eine Frage der politischen Hygiene. In Österreich scheint die derzeit nicht möglich zu sein. Rot-Blau ginge nur, wenn man Blau zwingt, sich zu spalten.

STANDARD: Künstler und Theater versuchen, zu Phänomenen wie Flucht und Terror einen Zugang zu finden. Gelingt das derzeit?

Schneyder: Es ist guter Wille da, aber es gibt auch eine kolossale Selbstüberschätzung im Kulturbetrieb. Gottfried Benn hat gesagt, das Gegenteil von Kunst sei nicht Natur, sondern gut gemeint. Es ist ja seit Die heilige Johanna der Schlachthöfe von Bert Brecht kaum mehr etwas Besseres geschrieben worden.

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STANDARD: Sie waren immer ein großer Fan der Oper, trotzdem sagen Sie, sie sei tot. Warum?

Schneyder: "Die Oper ist tot" ist nur der provozierende Satz, um mein Plädoyer für die deutsche Sprache halten zu können. Das Übersetzungslaufband bei Opernaufführungen ist unkünstlerisch und widerwärtig. Im Grunde müsste man alle Opern neu deutsch übersetzen.

STANDARD: In der Sprache liegt doch auch eine eigene Musikalität?

Schneyder: Das sagen Leute, denen die Musikalität des Deutschen nicht bewusst ist. Ein italienisches Libretto kann auf Deutsch genauso gut sein, wenn man auf den starken Noten ein "i" macht, wo auch im Original eines ist. Nur: Das muss man eben können. Und so lange das keiner macht, bleibt die Oper gefährdet.

STANDARD: Sie haben auch Schlager gesungen. Wie passt das zur Hochkultur?

Schneyder: Die Oper hat mich als Kunstform überwältigt. Und der Schlager war ein Vehikel der frühen Sexualität. Ich unterscheide innerhalb der Unterhaltung zwischen Qualität und Dreck. Gute Schlager haben etwa die Brüder Gershwin geschrieben – musikalisch und textlich hochwertig.

STANDARD: Wie sehen Sie die heutige Szene? Helene Fischer?

Schneyder: Sie kann singen und ist eine schöne Frau. Die Nummern, die sie sich schreiben lässt, sind, würde ich sagen, zu fünfzehn Prozent über dem landläufigen Durchschnitt. Immerhin.

STANDARD: Verfolgen Sie Andreas Gabalier?

Schneyder: Ich verfolge ihn nicht. Von dem fühle ich mich verfolgt. Er ist mir unangenehm. Weil er die Lederhose im Kopf hat.

STANDARD: Legendär ist auch Ihre Kritik an Thomas Bernhard und seinen Schimpftiraden.

Schneyder: Für mich ist Kritik wertlos, die Pauschalurteile abgibt. Kritisieren heißt Unterscheiden. Das ist ein Schlüsselsatz. Wenn Nazis aufmarschieren, kann man nicht mehr differenzieren, klar. Aber bei einer diffusen Gemengelage wie der AfD oder Pegida sind auch Verführte dabei. Die muss man vor dem Irrglauben bewahren. Auch das Kabarett muss differenzieren, sonst ist es keines.

STANDARD: Ihnen wurde vorgeworfen, pauschal Islamkritik zu üben.

Schneyder: Keine Rede davon. Ich sage nur: Es ist uns gelungen, den Katholizismus in seine Schranken zu verweisen. Und das würde ich beim Islam auch gerne sehen.

STANDARD: In Österreich kommt das Burkaverbot, aber das Kreuz in der Klasse soll hängen bleiben.

Schneyder: Ich bin für ein Vermummungsverbot, bin aber auch der Meinung, dass das Tragen religiöser Kleidung einzig und allein jenen vorbehalten sein sollte, die einen religiösen Beruf ausüben: Priester, Imame, Rabbiner. Dass das Kreuz hängen bleiben soll, ist völlig widersinnig. Es hat in keiner Schulklasse etwas verloren.

STANDARD: Wie stehen Sie zu Nationalismus im Sport?

Schneyder: Im Sport läge die Chance, den Nationalismus zurückzudrängen. Seit langem schlage ich vor, bei Olympischen Spielen national gemischte Staffeln antreten zu lassen. Länder-Medaillenspiegel sind eigentlich widerlich.

STANDARD: Dass Sie für die Freigabe von Doping sind, klingt zynisch.

Schneyder: Ich sage ganz ernsthaft: Wenn wir heute in der Ernährung und anderen Bereichen eine Bioschiene haben, warum soll es das nicht auch im Sport geben? Man kann einen Biosport versuchen. Zwei Systeme: eines mit Doping und ein sauberes. Vielleicht ist das die einzige Möglichkeit.

STANDARD: Hat für Sie die Einheit von Geist und Körper auch eine philosophische Dimension?

Schneyder: Die Basis jeder Dramaturgie ist der Zweikampf. Ob zwei Menschen boxen oder Schach spielen, hat für mich eine ähnliche Faszination. Ich habe nie verstanden, warum sich viele Kulturmenschen so einer sinnlichen Erfahrung wie dem Sport entziehen. Wenn ein Intellektueller sagt, Tennis fasziniere ihn nicht, habe ich Zweifel an seiner Intelligenz. Eine der ästhetischsten Erfahrungen meines Lebens war sicherlich die Rückhand von Ken Rosewall. (Stefan Weiss, 8.2.2017)