Andressa Miyazato in Linz.

Foto: Dieter Wuschanski

Linz – Vorn an der Rampe liegt der Körper eines Mannes, aufgebahrt in einem Kreis aus dickem Stacheldraht. Das Tanzstück Die Brautschminkerin von Mei Hong Lin im Linzer Musiktheater beginnt, als eine weiß gewandete Frau zu dem weiß maskierten Leichnam tritt. Gesicht und Haare der Frau sind dick mit weißer Schminke überdeckt. Wir befinden uns auf Taiwan im Jahr 1947.

Der 28. Februar vor 70 Jahren war für die Bevölkerung der Insel ein verhängnisvoller Tag. Auf eine Protestbewegung gegen die festlandchinesische Militärverwaltung folgten ein Blutbad und die Diktatur der Kuomintang-Einheitspartei. Daran erinnert die 1959 geborene Taiwanesin und heutige Leiterin des Balletts am Landestheater Linz mit diesem Stück, das sie bereits 2011 in Darmstadt uraufgeführt und jetzt neu erarbeitet hat.

Mei Hong Lin erzählt darin die Geschichte einer Frau, die während der Niederschlagung des Aufstands in der Hochzeitsnacht ihren Mann verliert und später auch noch den Sohn. Detailreich wird ihr Leidensweg choreografiert: der große Schmerz und dessen Verdrängung. Doch das Verdrängte, die innere Maske der Protagonistin, bricht nach dem Tod ihres Kindes wieder auf. Die Brautschminkerin erweist sich als differenziertes kulturelles Tanzpsychogramm vor dem Hintergrund der Diktatur.

Bausch, Ballett, chinesischer Tanz

Im Stil sind Einflüsse von Pina Bausch zu erkennen, bei der Lin nach ihrer auf Taiwan begonnenen Ausbildung studiert hat. In dieses Tanztheater mischt sie gekonnt modernes Ballett mit Anleihen an chinesischen Tanz. Wirkungsvoll lässt Mei Hong Lin viel Komparserie auf die dunkel designte Bühne treten. Und einzelne Momente erinnern an Splatterszenen bei Hans Kresnik. Im Vergleich zur ewig gleichen Ballettästhetik mittelprächtiger Talente an Stadttheaterspartenhäusern wirkt Lins Arbeit wirklich originell. Das Linzer Publikum belohnte Die Brautschminkerin mit reichlich Premierenjubel. Trotzdem hätte die Choreografin ihre inhaltlich wichtige Arbeit noch dramaturgisch klären und ihre Figuren schärfer akzentuieren können.

Denn unnötig stolpert die schwarz gewandete Verkörperung des Regimes (Geoffroy Poplawski) aus der beabsichtigten Groteske in unfreiwillige Komik oder kippt das Leiden der Protagonistin in Selbstpersiflage: Es schmerzt, wenn Lin ihr Pathos von einer "Brücke der Seufzer" in die "Unterwelt" des Kitschs verstößt. (Helmut Ploebst, 12.2.2017)