Der Computer gehört dazu, zunehmend auch in der (Volks-)Schule. Gelehrt werden muss dort auch der kritische Umgang mit diesem so mächtigen Gerät.

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Seit dem Frühjahr 2016 sind in den Medien zahlreiche Beiträge über die möglichen Auswirkungen der Industrie 4.0, des Überbegriffs für die umfassende Digitalisierung, auf die künftige Arbeitswelt erschienen (Zuletzt im STANDARD: Daniela Holzer, "Es braucht widerständige Bildung", 9. Februar 2017).

Die Prognosen klaffen weit auseinander. Manche Experten befürchten einen Nettoverlust an Arbeitsplätzen – von bis zu 50 Prozent ist die Rede. Andere prophezeien ein Anwachsen der Gesamtzahl der Beschäftigten oder zumindest Stabilität auf dem derzeitigen Niveau.

Weitgehende Einigkeit besteht darüber, dass einzelne Berufsfelder an Bedeutung verlieren, andere neu entstehen werden. Auch wird daran erinnert, dass die bisherigen industriellen Revolutionen zwar vorerst Einbrüche hinsichtlich der Gesamtzahl der Arbeitsplätze verursacht haben, die allerdings kompensiert werden konnten und letztlich ein Anwachsen der Beschäftigung und des allgemeinen Wohlstands mit sich gebracht haben.

Es herrscht aber Uneinigkeit darüber, ob dieser "Automatismus" angesichts von Industrie 4.0 wieder in der gewohnten Weise greifen wird. Die fortschreitende Robotisierung wird den Menschen vom "mechanisch immer Gleichen" weiter entlasten und ihn aber dort verstärkt fordern, wo es darum geht, "falsch" zu reagieren – also anders, als es die Programmierung vorsieht.

Die Digitalisierung betrifft die Schule auf zwei Ebenen. Einerseits ersetzt Digitales in steigendem Maße analoge Lehrmittel. Ob Schüler aus einem E-Book lesen oder aus einem Buch aus Papier, macht keinen grundlegenden Unterschied. Andererseits kann die Digitalisierung auch Menschen, Lehrer ersetzen und dennoch eine hochindividuelle fachliche (!) Betreuung der Schüler sicherstellen. Digitale "Lehrpersonen" sind geduldig und verlieren niemals die Beherrschung, man kann sie x-mal um die Wiederholung einer Erklärung bitten, inklusive eines langsamen Sprechtempos – Stichwort Lernvideo. Man kann digitale Lehrpersonen nicht beleidigen, und sie ihrerseits können Schüler nicht beschämen. Wie sich dies mit dem gesetzlich normierten Erziehungsauftrag der Schule vereinbaren lässt, ist allerdings eine spannende Frage.

Die Digitalisierung kann je nach Anwendung der Bildung ein noch nie dagewesenes Maß an Demokratisierung bringen. "Wenn der neue Albert Einstein ein Jugendlicher im afrikanischen Busch ist, der einen Laptop und ein Solarpaneel besitzt, dann wird er entdeckt werden", sind Experten überzeugt.

Die Digitalisierung der Bildung kann aber auch zu einer totalen Entpersönlichung und Autistisierung von Bildung führen, die nicht einmal mehr Spuren des Erlernens des "Gemeinsamen" übrig lässt. Auch die konkrete Gefahr einer Spezialbildung ohne Allgemeinbildung ist evident. Es wird in Hinsicht auf die Digitalisierung darauf ankommen, nicht alles, was aufgrund der technischen Möglichkeiten machbar wäre, auch tatsächlich zu tun.

Welche bereits im Alter von null bis 15 Jahren zugrundezulegenden Aspekte werden von Experten als zentral bedeutend zur Bewältigung der gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen der Digitalisierung eingeschätzt? Mit Absicht werden hier die vielgeschundenen Begriffe Kompetenz, Fähigkeit etc. vermieden und durch das Wort "Aspekt" ersetzt. Dessen Übersetzung (ad-spicere) lautet "darauf hinschauen" im Sinne von "als wichtig erachten":

1) Grundkompetenzen: Lesen, Schreiben und Rechnen: zum Erlangen einer kritischen Weltsicht und damit zur orientierten demokratischen Teilhabe, für Traumberufe und für sinnerfüllte Freizeit.

2) Überblicks- und Kombinationsfähigkeit: zum qualifizierten Erkennen, Orientieren, Werten, Planen und Handeln.

3) Ein soziales, also ein "menschenverbindendes" Fühlen, Denken und Handeln: zur Sicherung des Gemeinsamen, zur Vermeidung von Einsamkeit und gesellschafts- und selbstzerstörendem Autismus und Egoismus.

4) Feinmotorische Fähigkeiten, Handwerkslehre neu, das Ineinanderfließen künstlerischer, manueller und digitaler Aspekte: für Traumberufe, für eine sinnerfüllte Freizeit und zur lustvollen und erfolgreichen Bewältigung geistiger, manueller, digitaler Herausforderungen, Stichwort Mechatronik.

5) Kreativität und Innovationsinteresse: nie Dagewesenes (er)denken und tun, zum Entdecken des "immer Neuen im Ich und Du".

6) Selbstgeleitete Flexibilität: nötige Änderungen seismografisch eigenständig vorab spüren, das Tun danach ausrichten.

7) Mehrberuflichkeit: zur persönlichen Zukunftssicherung, aber auch für eine sinnerfüllte Freizeit mehrere traumberufsrelevante Interessen nutzen und (aus)bilden.

8) Die Ambition, Gestaltungsverantwortung und berufliche Risiken zu übernehmen: Unbeirrt vom Zeitgeist, den "Gestalter und Unternehmer" in sich entdecken und tätig "wirken" lassen.

9) Passives und aktives digitales "Auskennen", Programmieren: das kritische Erkennen dessen, was das Digitale mit mir macht.

Hier finden sich sowohl die traditionellen Forderungen der Wirtschaft – Lesen, Schreiben, Rechnen, Sozialverhalten, motorisch/manuelle Fähigkeiten – als auch die klassischen Bildungsziele – Welterkennen durch Überblick, Bildung von kritischer Intelligenz ("inter-legere", zwischen den Zeilen und zwischen den Computerchips "lesen" können), Verantwortlichkeit, Kreativität – vereinigt. Allgemeinbildung kann so zu einer humanen Lebens-, Freizeit- und Berufsfähigkeitsbildung im besten Sinne werden. Voraussetzung dafür ist aber, dass es in allen Gesellschaftsbereichen gelingt, das Digitale und das Analoge in menschenzentrierter Balance zu halten. (Ernst Smole, 15.2.2017)