Wien – Das Wort Vielfalt klingt abgenutzt. Es teilt das Schicksal aller Schlagwörter, die durch zu viele Münder, Bildschirme und Drucker müssen. Besonders verbraucht klingt es klarerweise für jene Zeitgenossen, die der Vielfalt an sich schon nicht viel abgewinnen können. Der Vielfalt von Sprachen zum Beispiel.

"Foreign Tongues" im Tanzquartier.
Foto: Michael Loizenbauer

Ein gut gemeint antinationalistischer Traum der Moderne war einmal die globale Einheitssprache. Aber auch gefährlich – wie die meisten "globalen" Hirngespinste, die "Westläufigkeit" mit Weltläufigkeit verwechseln. In das Gespinst der Sprachenplanierung tanzt jetzt die Wiener Gruppe Liquid Loft im Tanzquartier Wien hinein: mit "Foreign Tongues", dem jüngsten Stück des Wiener Choreografen Chris Haring.

Mehr als der bloße Klang

Darin haben drei Tänzerinnen und zwei Tänzer Sätze und Dialoge in vielen verschiedenen Sprachen zu sagen, die für den Großteil des Publikums schwer zu identifizieren sind. Kein Wunder, denn sie reden zum Beispiel kasachisch oder uigurisch, okzitanisch und katalanisch oder burgenländisches Kroatisch. Übertitelung gibt es nicht. Trotzdem vermittelt sich mehr als der bloße Klang der Worte.

Was Liquid Loft hier zu einer brandaktuellen Choreografie komponiert, ist die Vielschichtigkeit all dessen, was das Ausgesprochene belebt: Tonlagen und -fälle, Mimiken und Gesten, das ganze Ausdrucksrepertoire des Körpers, wenn er sich sprachlich artikuliert. Dabei erlaubt Haring seinen Tänzern keinerlei nachahmende oder Verhalten persiflierende Körpersprache.

Aus dem Off

Stattdessen werden Situationen hergestellt, die inhaltlich vermutlich mit dem Gesagten zusammenhängen, aber ins Künstliche gesteigert oder verfremdet sind. Außerdem kommt das Gesprochene nicht direkt aus den Mündern der fünf Bühnenfiguren, sondern aus dem Off. Die Tänzer bewegen nur ihre Münder dazu. Solche Methoden hat Haring bereits bei zahlreichen Arbeiten eingesetzt. In "Foreign Tongues" wird dem Synchronsprechen aber eine neue Bedeutungsebene zugewiesen.

In Liquid Lofts Liveperformances betont das Dubbing die Tatsache, dass unser Reden und Schreiben von der Kultur bestimmt ist, die den so Kommunizierenden ihre Worte, deren Inhalte und die Art ihres Gebrauchs vorgibt. Und durch den Einsatz von Technik wird auch deutlich, dass Medien in jeder Sprachkultur mitmischen. Was "Foreign Tongues" so mitreißend macht, ist, dass darin die Identifikation der Sprechenden mit den von ihnen verwendeten Sprachen aufgehoben wird.

Ohne didaktischen Zeigefinger

Weder Katharina Meves noch Stephanie Cumming und Karin Pauer oder Luke Baio respektive Arttu Palmio können die von ihnen verwendeten Sprachen anwenden. Aber sie nehmen deren schiere Andersheit ganz lässig auf und spielen so eine Selbstverständlichkeit des für uns Fremden aus. Ohne didaktischen Zeigefinger, dafür aber in wiedererkennbaren Situationen.

Und wenn zwischendurch einmal ein österreichischer Dialekt aufblitzt, lacht das Publikum, weil es sich in diesen Momenten selbst beleuchtet sieht: als Teil des ganzen kulturellen Reichtums auf diesem Planeten. Der Sound (Andreas Berger) ist ganz gezielt in Bezug zu den unterschiedlichen Szenen gesetzt, ebenso wie die minimale Bühne und das teils unheimliche Licht von Thomas Jelinek.

"Foreign Tongues" ist von Anfang bis Ende eine brillante Arbeit. Liquid Loft hat damit eine überzeugende neue Qualität entdeckt, für die es vom Premierenpublikum viel Applaus gab. (Helmut Ploebst, 17.2.2017)