Eine Stunde Frischluft steht den meisten Insassen der Justizanstalt Korneuburg täglich zu.

Foto: Heribert Corn

Heidemarie Heinz ist Vizechefin im Gefängnis Korneuburg.

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In einem Maschendrahtkäfig können die Gefängnisinsassen von Korneuburg Chips, Limonade und Magazine kaufen.

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Wien – Der beißende Geruch von Aceton liegt in der Luft. Zwei junge Frauen sitzen einander gegenüber an einem schmalen Tisch. Eine Lampe, eine Feile, kein Blickkontakt. Die eine wippt nervös mit ihrem linken Fuß, die andere bearbeitet die rechte Hand ihrer Mitinsassin. Die meisten weiblichen Häftlinge des Trakts "4 Süd Frauen" tragen ausgebeulte Jogginghosen, ein T-Shirt, Flipflops oder Turnschuhe, ihre Mienen sind eisern, die Nägel rot oder rosa und perfekt manikürt.

Die Justizanstalt Korneuburg gilt als eines der modernsten Gefängnisse Österreichs. In ihrem Bereich können sich die 16 Frauen relativ frei bewegen, Einzelzimmer mit Dusche und Klo, täglich eine Stunde Frischluft im Hof, und sie haben die Möglichkeit auf eine Ausbildung zur Nageldesignerin – auf dem Schein wird später nicht stehen, wo der Lehrgang gemacht wurde.

Chips und der Playboy

Ein Stockwerk tiefer können die Häftlinge einkaufen. Ein großer Raum, hinter Maschendraht ein Justizwachebeamter und Handelswaren, die ein Gefangenenleben vielleicht ein bisschen schöner machen: Limonade, Chips, Schokolade, Zigaretten, der "Playboy", auch ein Mandala-Malbuch ist zu erwerben. Rund zwei Dutzend Männer warten, lehnen am Zaun, umklammern mit den Fingern den Draht – und warten auf Einlass.

Insgesamt sind 269 Insassen in Korneuburg untergebracht, davon sind 253 Männer. Was die getan haben? "Möglich ist bei uns alles", sagt Heidemarie Heinz, die stellvertretende Leiterin der Justizanstalt. Sie meint damit: Hier sitzen auch Mörder und Vergewaltiger. In erster Linie gehe es aber um fremdenpolizeiliche Delikte, Diebstahl, Suchtmittelmissbrauch. Fast niemand bleibt in Korneuburg länger als 18 Monate, viele sind Untersuchungshäftlinge – für die gilt die Unschuldsvermutung. "Bestraft hat das Gericht, wir sind dazu da, dass am Ende ein funktionsfähiger Mensch entlassen wird", sagt Heinz.

"Stayin' Alive"

Auch vor dem Telefon wartet eine Schlange an Insassen. Die Häftlinge schauen in die Luft, sie sprechen nicht miteinander. Im Hintergrund läuft leise Musik. Bee Gees, "Stayin' Alive". Der Anteil an Insassen ohne österreichische Staatsbürgerschaft beträgt in der Justizanstalt Korneuburg rund 70 Prozent. Das liege auch am "Einzugsgebiet nahe Schwechat", sagt Heinz. Österreichweit haben 54 Prozent der Häftlinge ausschließlich einen ausländischen Pass. "Tendenz steigend", sagt Michael Binder, stellvertretender Leiter der Abteilung Aufsicht und Sicherheit des Justizministeriums.

Über die Gründe könne er nur spekulieren, es gebe da keine Studie. "Vielleicht gerät diese Gruppe aufgrund persönlicher und deliktspezifischer Auffälligkeiten einfacher ins Visier der Behörden", meint Binder. "In der Population ausländischer Staatsbürger sind auch viele junge Männer, die sind nun einmal kriminalitätsaffiner als alte Frauen." Auch die gesellschaftliche Integration spiele natürlich eine Rolle, sagt er. Fest stehe, dass Personen aus Kriegs- und Krisengebieten oft eine niedrigere Hemmschwelle hätten.

"Hochgradig gewaltaffine junge Ausländer, kulturell obdachlos – und zwar nicht erst bei uns, sondern schon in ihren Herkunftsländern in Nordafrika oder dem Kaukasus – und feindlich gesinnt gegenüber dem Staat und seinen Repräsentanten, das ist heute weithin die Realität des Strafvollzugs", sagt Binder, der selbst viele Jahre in Gefängnissen gearbeitet hat.

Wöchentlich ein Alarm

Die leitende Justizwachebeamtin Heinz ist eine freundliche und gelassene Frau. "Ich halte wenig vom amerikanischen Modell des Wegsperrens und sich selbst Überlassens", sagt sie. "Ich stehe voll und ganz hinter dem, was Österreich hat oder haben soll: Strafvollzug nicht mit Härte, sondern mit hoher Verantwortung und vielen Aufgaben." Plötzlich heult eine Sirene los. "Meistens ein Fehlalarm", versichert Heinz. Innerhalb weniger Minuten seien rund 40 Beamte dort, wo der Alarm ausgelöst wurde. Einmal pro Woche komme das durchschnittlich vor.

Heinz weist ein paar Sozialarbeiterinnen im Gang zurecht. Sie sollen bleiben, wo sie sind. Kurz darauf kommt die erwartete Entwarnung: Fehlalarm.

Angriffe auf Justizwachebeamte nehmen laufend zu – also zumindest die Anzeigen. Im Jahr 2015 gab es 148, im Vorjahr 200, bis Mitte Februar 2017 wurden 29 Fälle gemeldet. Allerdings werden die Zahlen erst seit dem Jahr 2016 zentral dokumentiert. Die Anzahl der Insassen ist in den vergangenen Jahren in etwa gleichbleibend, heißt es aus dem Justizministerium. "Verändert hat sich aber die Insassenpopulation. Ich sage das ganz wertfrei, aber wir haben es heute mit anderen Häftlingen zu tun als noch vor einigen Jahren", erläutert Binder.

Investitionen in Ausrüstung

Es werde deshalb "stark in Schutzausrüstung und Dienstwaffen" investiert – von "ballistischen Schutzwesten" über "Stich- und Schnittschutzhandschuhe" bis hin zu "Teleskopeinsatzstöcken". Über eine Zu- oder Abnahme von Gewalt, die Insassen gegenüber anderen Insassen verüben, lassen sich schwer seriöse Aussagen treffen. "Es gibt ein großes Dunkelfeld an Gewalthandlungen", sagt Binder.

In der Justizanstalt Korneuburg nimmt ein Insasse gerade seine Stunde Frischluft in Anspruch. Er trägt eine grün-braune Jacke in Camouflagemuster. Er verschränkt die Arme vor der Brust, während er seine Runden dreht. Nur 75 Häftlinge befinden sich hier im "normalen Vollzug", sitzen also ausschließlich in ihrem Haftraum. Die Beschäftigung in der Werkstatt, bei der Arbeit und in Kursen wie "Adventkranz binden" bewähre sich, ist Heinz überzeugt. In Korneuburg nehme sie keine starke Zunahme an Gewalt wahr. Auch Binder relativiert insofern: "Sprechen viele Insassen kein Deutsch und kommen aus anderen Kulturen, ist eben auch die gefühlte Unsicherheit größer." (Katharina Mittelstaedt, 27.2.2017)