Gegen die Nordostspange: Lorenz Kabas im Grazer Kristallwerk.

Foto: Lupi Spuma

Graz – Eigentlich hätte Keine Angst. Eine Heimgartenrevue vor zwei Wochen im Wiener Volx uraufgeführt werden sollen. Dann wurde die Premiere am Tag davor gecancelt. Nichts Näheres wurde damals bekanntgegeben. Nun feierte die Koproduktion mit dem Theater im Bahnhof stattdessen im Kristallwerk in Graz Premiere. Vielleicht hat das Einstudieren der Sing- und Tanznummern länger gedauert als geplant. An einer Brisanz des Stoffes – so wie bei Homohalal, das vom Volkstheater vor einem Jahr nach Adaptionsversuchen überhaupt abgesagt wurde – dürfte das Premierenproblem jedenfalls nicht gelegen haben.

Worum es geht? Bedroht ist in der Stückentwicklung von Theatermacher Ed. Hauswirth eine Schrebergartensiedlung. Eine Verkehrsader soll sich bald durch das kleine Glück ziehen. Mit allen Mitteln versuchen vier Kleingärtner, dagegen anzugehen. Als Viergesang etwa sammeln sie auf der Bühne Unterschriften. Johanna Hierzegger hat diese dem Anlass entsprechend mit ein paar Topfpflanzen und Plastikstühlen genau richtig abgeschmackt entworfen. Weil Demokratie aber oft nicht hält, was sie verspricht, sollen parallel dazu in Videoeinspielungen geheime Absprachen mit einer grünen Wiener Vizebürgermeisterin (Birgit Stöger) und Kontakte ins Magistrat (Thomas Frank) die Sache richten.

Alltagsgeschichten-Ärgernis

Dazu hat Hauswirth noch ein Ärgernis in Keine Angst eingebaut: Seit einem Vierteljahrhundert stelle Elizabeth T. Spiras Das kleine Glück im Schrebergarten eben jenes kollektiv in ein unvorteilhaft rechtes, versoffenes Eck. Andere mögen so sein, räumt das Ensemble ein, aber – eh klar – man selbst nicht!

Wer Hauswirth-Produktionen kennt, weiß nun erstens, dass die Figuren in Keine Angst deshalb erst recht ebenso kurios bis lächerlich sein müssen. Etwa die mit libidinöser Inbrunst die Wangen an Sträucher schmiegende Vali (Juliette Eröd). Auch Monika Klengel, Lorenz Kabas und Julian Loidl zeichnen und singen und tanzen ihre Charaktere beeindruckend stimm- und schrittsicher.

Abbild der Welt

Und er weiß zweitens, dass Hauswirth das Kuriose immer mit Politischem zu verbinden sucht. Dass die bescheidene Idylle eigentlich schon lang dahin ist, ist bald klar. Der Vereinsname "Solidarität" ist bloß noch Überbleibsel eines einstigen Geistes. Sträucher fürchtet man mittlerweile als potenzielle Verstecke für Einbrecher, Kameras überwachen die Wege. Aus einer Gemeinschaft von Gartlern ist eine Ansiedlung von Einbunkerern geworden.

Interviews mit echten Schrebergartlern haben als Vorlage für die Groteske gedient, doch auch die Rechnung, die Kleingartengemeinschaft derart zugleich als Abbild der Welt zu zeigen, geht auf. Einfamilienpaläste, die rücksichtslos bis an die Grundstücksgrenzen rücken, sind ebenso real wie eine prima Metapher. Knappe Sätze treffen genau. Erst ein politischer Monolog gegen Ende (FPÖ, Trump, Erdogan ...) gerät störend durchsichtig.

Nichtsdestotrotz bleibt der Abend zwischen dem Geplänkel der Figuren ein wenig blass. Die zentralen Aussagen sind rasch verdaut, und das zwar originelle Setting entwickelt während zweier Stunden schließlich doch nicht so viel Sog. Nach den Graz-Terminen bis Ende März stehen noch drei Vorstellungen in Wien an. Die zuerst geplante große Tour durch die Bezirke der Bundeshauptstadt wurde gestrichen. Anna Badora hatte sich wohl etwas anderes vorgestellt. (Michael Wurmitzer, 5.3.2017)