Will nicht nur Schleier, Turban und Kippa, sondern auch Kreuz, Kerzen und politische Symbole aus dem Gerichtssaal verbannt sehen: Strafrichter-Vertreter Friedrich Forsthuber.

Foto: STANDARD/Urban

STANDARD: Darf man Gerichtsurteile kritisieren?

Forsthuber: Ja, die Gerichte stellen sich der Kritik, aber sie muss sachlich sein. Ich sehe vermehrt das Problem, dass persönliche Angriffe gegen einzelne Richter lanciert werden, auch von Politikern. Das ist gefährlich. Weil sich die Leute denken: Na wenn das ein Politiker sagt, wird es vielleicht stimmen. Und das schädigt das Vertrauen in den Rechtsstaat.

STANDARD: Die Aufhebung der Hofburg-Wahl 2016 durch den Verfassungsgerichtshof wurde heftig kritisiert, manche sahen auch in dieser Kritik eine Schädigung des Rechtsstaats. Was meinen Sie?

Forsthuber: Gefährlich wird es, wenn ich beginne, die Seriosität der Institution infrage zu stellen. Eine Anregung, der VfGH möge seine bisherige Judikatur überdenken, ist rechtsstaatlich noch nicht schädlich. Wenn ich aber sage, das Urteil war politisch motiviert, dann ist das bedenklich. Wir kennen solche Beispiele – Stichwort Ortstafelstreit.

STANDARD: Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen das Magazin "Aula", das KZ-Überlebende als "Landplage" bezeichnet hatte, empörte viele. Sie auch?

Forsthuber: Ich kenne den Akt nicht. Aber es ist ganz wich- tig, wesentliche Entscheidungen so transparent zu machen, dass die Grundlage der Entscheidung nachvollziehbar wird – vielleicht wäre noch mehr Transparenz hilfreich gewesen. Zeitgeschichte-Kurse für Richteramtsanwärter sind jedenfalls eine gute Idee.

STANDARD: Sie gelten als Kritiker des Gerichts-Livetickers. Dabei wäre das doch ein Mittel, ein Strafverfahren so transparent wie möglich zu machen.

Forsthuber: Meine Bedenken waren, dass die Gefahr besteht, wenn das nicht gut und sensibel gehandhabt wird, dass der Eindruck erweckt wird, das ist so wie ein Fußballmatch: Kaum wird ein Satz getickert, haben schon 15 Leute ihren Senf abgegeben, da frage ich mich schon, ob nicht auch das Ansehen des Gerichts darunter leidet. Aber ich gebe zu, dass ich den Liveticker heute etwas entspannter sehe als früher: Zumindest in seriösen Medien hat der Liveticker diese Entwicklung nicht genommen. Dass in Verhandlungen immer öfter heimlich mitgefilmt wird, halte ich aber weiterhin für schädlich.

STANDARD: Warum ist das Ansehen der Justiz so wichtig – spricht es nicht für die Mündigkeit der Menschen, wenn sie Institutionen nicht blind vertrauen?

Forsthuber: Letztlich ist es nur der Rechtsstaat, der unsere Bürger-und Freiheitsrechte sicherstellen kann. Es ist wichtig, aufzuzeigen, wie rasch der Rechtsstaat auch in Österreich beseitigt werden konnte, in den Diktaturen von 1933 bis 1938 und von 1938 bis 1945. Die Politik sollte den Menschen das Bewusstsein mitgeben, dass wir einen Rechtsstaat haben, der uns viel wert sein sollte.

STANDARD: Was aber, wenn die Regierung selbst Vorschläge macht, die den Rechtsstaat auszuhöhlen drohen – zum Beispiel eine Fußfessel für Menschen, gegen die kein konkreter Tatverdacht vorliegt?

Forsthuber: Ich nenne das "rechtspolitisches Placebo", denn ich kann nicht verhindern, dass jemand trotz Fußfessel konspiriert oder Bomben wirft. Da brauche ich ja eine ganze Armada von Polizisten, die diesen Menschen auf Schritt und Tritt überwacht und das alles auswertet – aber wo nehme ich die Ressourcen her? Selbst wenn ich einen Menschen fünf Jahre lang tagtäglich in seinen sozialen Kontakten überwache und das alles auswerte, wie mache ich das bei 10.000 Menschen?

STANDARD: Auch Placebos können wirken.

Forsthuber: Kurzfristig mag das subjektive Sicherheitsgefühl steigen, das will ich nicht leugnen. Aber es wird wieder irgendwo einen Anschlag geben und dann noch einen, und Sie müssen immer weiter am Rädchen drehen – das ist eine Spirale der Einschränkung von Freiheiten. Wenn das Placebo aber mehr Nebenwirkungen als Wirkungen hat, würde ich doch eher darauf verzichten.

STANDARD: Der politisch denkende Mensch in Ihnen warnt vor Überwachungsmaßnahmen. Ist der Strafrichter in Ihnen aber nicht auch froh, wenn ein Akt dank Überwachungsergebnissen besser aufbereitet ist?

Forsthuber: Ich glaube, es ist eine sensible Abwägung von Nutzen und Eingriff. Will ich eine Bedrohung wirksam bekämpfen, muss ich prüfen, ob die Werkzeuge, die mir zur Verfügung stehen, reichen. Ein Beispiel: Will ich staatsfeindliche Gruppen in die Schranken weisen, muss ich überlegen: Reicht dafür die bisherige Gesetzeslage aus?

STANDARD: Sie sprechen die aktuell geplante Strafrechtsnovelle an. Würden Sie sagen, die aktuelle Gesetzeslage wäre ausreichend?

Forsthuber: Grundsätzlich ja. Vieles wird in das Spektrum der Erpressung und der Nötigung hineinpassen. Aber die rechtspolitische Entscheidung trifft nicht die Justiz, sondern der Gesetzgeber. Sie können nur gute Ermittlungsarbeit leisten und präventiv Konzepte entwickeln. Aber das dürfen nicht nur strafrechtliche Konzepte sein.

STANDARD: Sondern?

Forsthuber: Vergleichen wir die terroristischen Anschläge in den Siebzigerjahren in Deutschland und den Niederlanden: In Deutschland hat man Bürgerrechte eingeschränkt, als man bei Hausdurchsuchungen Terrorpläne fand, hat man diese binnen Stunden über alle Medien verbreitet – und das hat die Angst verzehnfacht. Was haben die Niederlande gemacht? Sie haben versucht, den Ball flachzuhalten, um Panik zu vermeiden, und ein großes Projekt gegen Jugendarbeitslosigkeit gestartet, weil der Großteil der Terrorverdächtigen junge Menschen ohne Perspektiven waren. Die Anschläge sind sukzessive weniger geworden.

STANDARD: Der Vertreter der Strafjustiz sagt also, Strafjustiz sei das falsche Mittel gegen Kriminalität?

Forsthuber: Ich spreche dem Strafrecht nicht ab, Signalwirkung zu haben. Aber Strafrecht ist zu wichtig, um zu einem Placebo zu verkommen. Fußfesseln zu propagieren ist zu wenig. Ich muss an die Wurzel gehen und unter anderem durch bildungspolitische Konzepte verhindern, dass sich perspektivenlose junge Menschen von Rattenfängern begeistern lassen – ob das jetzt Islamisten, Neonazis oder andere grausliche Gruppen sind.

STANDARD: Bis Bildungspolitik greift, vergeht aber viel Zeit.

Forsthuber: Ja, aber mir fehlt die Auseinandersetzung mit der Frage: Wohin soll die Reise gehen? Und wenn ich dieses Ziel verfolge, gibt es neben dem Strafrecht Bereiche, wo ich Konzepte entwickeln muss? Mir wurde bis jetzt nicht transparent gemacht, welche Konzepte entwickelt wurden.

STANDARD: Das Strafrecht wurde 2015 einer größeren Reform unterzogen, um die Kluft zwischen der Bestrafung von Vermögensdelikten und Delikten gegen Leib und Leben zu verringern. Ist das gelungen?

Forsthuber: Man hat in den letzten Jahren in zwei Bereichen den Strafrahmen zu Recht stark ausgedehnt, bei Sexualdelikten und bei Körperverletzung. Das ist ein wichtiges Signal. Gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu handeln ist für das Opfer viel einschneidender, als wenn ich ihm ohne Gewalt die Geldbörse wegnehme. Auch bei Einbruch macht es jetzt in puncto Strafrahmen einen Unterschied, ob ich in Ihre Wohnung einbreche oder ob ich eine Zeitungskassa knacke. Man darf aber nicht vergessen, die Bevölkerung bei wichtigen Reformen mitzunehmen. Es genügt nicht, eine gute Reform zu machen, wenn es bei der Öffentlichkeit nicht ankommt. Das gilt heute viel mehr als früher.

STANDARD: Was psychisch kranke Rechtsbrecher betrifft, lässt eine Reform seit Jahren auf sich warten. Warum?

Forsthuber: Man hat Angst, wenn tragische Vorfälle wie Brunnenmarkt oder Amoklauf Graz passieren, dass die Bevölkerung nicht gewonnen werden kann für differenzierte Vorgangsweisen. Das Problem ist ja, dass sich die Zahlen im Maßnahmenvollzug verdoppelt haben, und das liegt auch daran, dass wir eine Drehtür-Psychiatrie haben: Wenn jemand einen akut psychotischen Schub hat, wird er in eine psychiatrische Klinik eingewiesen, aber im Schnitt ist er nur drei bis vier Tage dort. Und setzt jemand gravierende Anlasstaten, wo er jemanden erschlägt, und dann sieht man: Der ist in den vergangenen Jahren immer wieder drei bis vier Tage in Unterbringung gewesen – aber es fehlt auch die rechtliche Handhabe einer nachhaltigen Betreuung. Ist das nicht eine Katastrophe?

STANDARD: Was sollte man tun?

Forsthuber: Man müsste nachbessern im Unterbringungsverfahren, man muss vor allem ressourcenmäßig nachbessern, da kann ich mich nicht als Krankenhausträger oder Gesundheitsminister zurücklehnen und sagen, die Justiz hat eh den Maßnahmenvollzug. Auch hier ist es so: Wenn die Politik keine Konzepte hat, wird es die Justiz schon richten. Aber das schadet letztlich auch dem Ansehen der Justiz.

STANDARD: Kopftuch im Gerichtssaal, ja oder nein?

Forsthuber: Ich bin der Meinung, dass alle Symbole weltanschaulicher Art, seien sie religiös oder politisch, im Gerichtsaal keinen Platz haben sollen, und ich bin dafür, das in die Verfassung zu schreiben. Weg mit allen Symbolen, weg mit Kreuz und Kerzen, weg mit der Eidesformel "So wahr mir Gott helfe". Es interessiert mich nicht, ob Leute sagen, dass auch ungläubige Frauen Kopftuch tragen oder das Kreuz ein Friedenssymbol ist. Ich bin römisch-katholisch, für mich ist das Kreuz auch ein Friedenssymbol – aber es geht darum, welche Symbole als weltanschaulich konnotiert verstanden werden. Da gehört das Kreuz dazu.

STANDARD: Was, wenn man das Kreuz ausnimmt, weil man sagt, das gehört zu unserer Kultur?

Forsthuber: Das wäre absurd. Das hielte ich für heuchlerisch.

STANDARD: Eine Frau mit Kopftuch, ein Mann mit Kippa darf also nicht Richter werden, aber ein Kandidat einer politischen Partei sehr wohl – wie passt das zusammen?

Forsthuber: Es gibt Länder Europas, in deren Verfassung steht, dass Angehörige der Justiz nicht parteipolitisch tätig sein dürfen.

STANDARD: Wären Sie dafür?

Forsthuber: Ich wäre dafür. Die Frage ist, ob sich der Verfassungsgesetzgeber dazu durchringt. Man muss aber sagen: In der Richterausbildung gibt es psychologische Tests. Das Risiko, dass jemand mit sehr verschrobenen Weltanschauungen in die Justiz kommt, können wir zwar nie hundertprozentig ausschließen, aber es ist gering. (Maria Sterkl, 26.3.2017)