Milli Bitterli führt Tanzpositionen als Lebenshaltungen vor: Manchmal pendelt sie auch zwischen Tanzen und Träumen – oder sucht Bekannte in deren Wohnungen auf.

Foto: Jack Hauser

Wien – Wer sich von den Qualitäten eines wichtigen Teils der österreichischen freien Tanzszene überzeugen möchte, kann das noch bis Donnerstag beim Feedback-Festival im Tanzquartier Wien (TQW) und im Brut-Theater tun. Dieses Abschiedspräsent von TQW-Intendant Walter Heun enthält Wiederaufnahmen von Arbeiten, die in den vergangenen Jahren – oft nur für kurze Zeit – zu sehen waren.

Eine davon verzauberte ihr Publikum spätabends am Dienstag im voll besetzten Brut: Milli Bitterlis Solo Der Tausendfüßler (Was bleibt?) - a livelong project, wobei das "v" statt "f" bei "livelong" übrigens kein Fehler ist, sondern ein Wortspiel. Bitterli, 48, gehört zu den Symbolfiguren der Wiener freien Szene. Nicht nur, weil sie zu deren besten Tänzerinnen zählt, sondern auch, weil sie sich vor einigen Jahren entschlossen hat, dem problematischen Fördersystem der öffentlichen Hand den Rücken zu kehren und fortan als Volksschullehrerin zu arbeiten.

Bitterli ist also eine Aussteigerin, die ab und zu noch zeigt, was das Publikum an ihr verloren hat. Das macht sie zur lebenden Legende. Entsprechend begeistert fiel auch der Applaus nach Der Tausendfüßler aus. In diesem Teil ihres Langzeitprojekts "Was bleibt?", das sie – zusammen mit dem Künstler Jack Hauser, der sie als Kameramann begleitet – bereits seit 13 Jahren durchführt, führt Bitterli vor, wie der Tanz zur Lebenshaltung werden kann.

Auf vier Projektionsleinwänden ist zu sehen, wie die Tänzerin Freunde und Bekannte in ihren Wohnungen oder an ihren Arbeitsplätzen aufsucht, dort tanzt, mit dem Körper Raumverhältnisse sichtbar macht und für kurze Zeit Lebensroutinen durcheinanderwirbelt. Live auf der Bühne sagt sie Dinge wie: "Manchmal bin ich mir nicht sicher – tanze oder träume ich?" Zu Ballett, Show oder Dancing-Star-Glitter verhält sich Bitterlis Tanzen wie eine ungezügelte Opposition, die jedes Verhalten aus den Angeln hebt und im Körperinneren verborgene Gefühlswindungen preisgibt.

Wer erklärt, hat verloren

Von einem virtuosen Tausendfüßler, der seinen unglaublich tollen Tanz erklärt und dabei verliert, handelt die Einstiegserzählung des Stücks. Im befreiten Tausendfüßler breitet sich ein wunderschönes Gefühl aus, und er geht fort auf Nimmerwiedersehen. Gut, dass Milli Bitterli noch ab und zu wiederkehrt. Am Donnerstag kehren bei Feedback auch noch Werke unter anderem von Paul Wenninger, Sööt/Zeyringer und Michikazu Matsune wieder. (Helmut Ploebst, 26.4.2017)