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Sowohl in Deutschland als auch in Österreich wird die Lehre hauptsächlich vom Mittelbau getragen. Der Großteil der Lehrenden ist prekär beschäftigt, was sich auch auf die Qualität der Lehre auswirkt.

AP/Daniel Maurer

Berlin – Wer den Pfad der Wissenschaft einschlägt, wird nicht nur hierzulande mit widrigen Arbeitsbedingungen konfrontiert. Kurzzeitverträge, Lehraufträge mit nur wenigen Wochenstunden und unsichere Karriereaussichten prägen die Arbeit im akademischen Mittelbau. Um dagegen Widerstand zu leisten, hat sich kürzlich das deutsche Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss) formiert – im Jänner fand die Gründungskonferenz in Leipzig mit Vertretern von knapp 40 deutschen Universitäten statt.

STANDARD: Wie haben sich die Arbeitsverhältnisse an den Unis in den vergangenen Jahren verändert?

Schenzle: Seit den 1980er-Jahren wurden Reformen durchgesetzt, die dem Mittelbau geschadet haben. Die meisten sitzen auf halben Stellen, der Arbeitsumfang entspricht aber einer Vollzeitstelle. Ein Lehrauftrag ist zwar immer der erste Schritt in den Wissenschaftsbetrieb, doch das Problem ist, dass viele dabei hängenbleiben und damit über Jahre ihr Leben finanzieren müssen. Über 90 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter in Deutschland sind heute befristet angestellt und fristen prekäre Existenzen.

STANDARD: Wie kam es zur Gründung des Netzwerks?

Schenzle: Jedes Land und jede Uni hat eigene Dienstverordnungen, die Mittelbau-Initiativen sind sehr zerstückelt. In den vergangenen Jahren wurden lokal einige Initiativen gegründet, doch ein Netzwerk für den Erfahrungsaustausch und die bundesweite Repräsentation gab es noch nicht.

STANDARD: Wie war die Resonanz im Mittelbau?

Schenzle: Die Probleme, die wir ansprechen, teilen alle. Bei den Forderungen sind es weniger, die mitziehen. Vor einem Streik herrscht Angst, da man sich so von der Arbeit abhält. Die wenigsten sind in einer Gewerkschaft organisiert, auch weil dieser immer der Geruch des Arbeitermilieus anhaftet und man an der Uni ja nicht "arbeitet", sondern nach Erleuchtung strebt. Viele haben nicht das Bewusstsein, dass sie auch einer Lohnarbeit nachgehen.

STANDARD: Wie macht sich die Prekarität außerhalb des Arbeitsplatzes bemerkbar?

Schenzle: Wenn man nicht weiß, was nächstes Jahr sein wird, wie soll man da eine Beziehung führen, eine Familie planen? Ich bin selbst Vater. Ich muss pünktlich Schluss machen. Ich kann die Arbeit nicht mit nach Hause nehmen, wie viele andere. Das bedeutet auch, dass Projekte wie die Promotion immer weiter rausgeschoben werden, weil sie nicht Teil der Arbeitszeit sind.

STANDARD: Im angelsächsischen Raum sind die Anstellungsverhältnisse umgekehrt verglichen mit Deutschland und Österreich: Nur 14 Prozent des Wissenschaftspersonals sind befristet angestellt. Ist das ein Vorbild?

Schenzle: Es gibt zwar kaum befristete Verträge, man ist aber an Evaluationskriterien gebunden, muss eine bestimmte Anzahl an Artikeln publizieren, Doktoranden betreuen oder Drittmittel einwerben. Wenn man diese Kriterien erfüllt, dann wird man auch weiter beschäftigt. Das Positive daran ist, dass man es in der eigenen Hand hat. Dafür hat man einen gewissen Evaluationsdruck, den viele bei uns als kontraproduktiv für die Bildung ansehen.

STANDARD: Welche Ziele hat das Netzwerk bisher formuliert?

Schenzle: Für studentische Hilfskräfte geht es oft darum, sie in den Tarifvertrag überhaupt reinzubekommen. Für die Promovierenden mit Stipendien wollen wir erstreiten, dass sie in sozialversicherungspflichtigen Tätigkeiten angestellt sind. Für den klassischen Mittelbau geht es darum, das Befristungssystem endlich aufzuheben.

STANDARD: Warum wäre es Ihrer Meinung nach wichtig, dass sich auch die Studierenden mit dem Mittelbau solidarisieren?

Schenzle: Im derzeitigen System wird die Lehre stiefmütterlich behandelt, obwohl sie für die Universitäten essenziell ist. Der Mittelbau stellt das Gros der Lehrenden. Verbessert man deren Situation, würde das auch eine deutliche Verbesserung der Studienbedingungen nach sich ziehen.

Ruben Schenzle (30) ist Dissertant am Institut für Arabistik und Semitistik der Freien Universität Berlin und hat dort seit 2017 eine Prädoc-Stelle. Seit Jänner engagiert er sich im Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft.

Foto: AP / Daniel Maurer

Ruben Schenzle ist Dissertant an der Freien Uni Berlin.

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(INTERVIEW: David Tiefenthaler, 27.4.2017)