Raimund Hoghe tanzt in raschelnder Rescue-Decke.


Foto: Rosa Frank

Wien – Auf Friedhöfen sind manchmal Menschen zu sehen, die mit kleinen Zinkgießkannen die Blumen auf den Gräbern ihrer lieben Verstorbenen gießen.

Eine solche Kanne nimmt der Choreograf Raimund Hoghe als Tänzer in seinem eigenen Stück La Valse zur Hand und gießt damit geduldig die gesamte Bühne des Akademietheaters. Das ist eine Schlüsselszene aus dem jüngsten Stück des 1949 geborenen, außenseiterischen Großmeisters unter den deutschen Tanzschaffenden. Er hat La Valse gerade bei Impulstanz auch in Wien vorgestellt.

Sobald der Tanzboden nass ist, bringt Hoghe ein kinderhandgroßes Spielzeugschiffchen, setzt es auf dieses Meer der Tränen, legt sich auf den Bauch und beginnt, auf dem Fleck zu schwimmen. Mit dieser Sisyphusarbeit hört er erst auf, wenn Maurice Ravels apokalyptische Musik La Valse: Poème chorégraphique pour orchestre verklingt.

Auch wenn viele heitere Walzer in Hoghes Valse zu hören sind, der Grundton der Trauer bleibt während der gesamten drei Stunden, über die diese Arbeit gespannt ist, erhalten.

Zwischen den rund dreißig Walzereinspielungen sind immer wieder Stimmen zu hören – etwa die der Cellistin Anita Lasker-Wallfisch, die das Vernichtungslager Auschwitz überlebt hat – oder Geräusche wie ferner Kriegslärm, in den sich der Sound von Minarettlautsprechern mischt.

Über das Thema des Walzers erzeugt Raimund Hoghe ein mit fließenden Farben gemaltes Bild unserer Zeit. Und das ist kein Porträt, sondern die sehr fein gearbeitete Darstellung eines Tauchgangs in deren Tiefen. Ein Mantra der Nachdenklichkeit, wie es im zeitgenössischen Tanz nur Hoghe zu gestalten versteht.

Weg mit Lärm und Hybris

Zusammen mit einem Pianisten, der als Einleitung für das Stück die Klavierversion von Ravels Walzer spielt, und einer fünfköpfigen Gruppe von Tänzerinnen und Tänzern rührt der kleine Mann mit dem markanten Buckel alles um, was im Tanz "normal" ist. Beiseite wischt er den Lärm, die Hybris gleich mit, und sanft wird das Publikum gezwungen, sich auf seine Langsamkeit einzulassen.

Während der Pianist in die Tasten greift, liegt Hoghe einfach auf dem Boden und lässt die Töne über sich hinwegrauschen.

Jede einzelne der Szenen, die dann folgen, gibt ein starkes Bild. In La Valse entstehen minimalistische Momente, die so scharf konturiert sind, dass sie sich tief ins Gedächtnis einprägen: vom roten Tüchlein vor seinem Gesicht, der goldenen Folie vor seinem Körper über die grauen Decken, in die seine Tänzer gehüllt sind, und die schwarze Binde vor Hoghes Augen bis hin zu dem Witz "wo sind meine Bananen", den Josephine Baker macht, bevor sie ihr Chanson singt, Rod Stewards Waltzing Matilda oder Audrey Hepburns Moon River am Ende.

Raimund Hoghes Zeitbild ist nicht optimistisch. Aber dafür von einem melancholischen Humor durchzogen, der wie eine Einladung wirkt, mit anderen Augen auf das zu schauen, was es an Großartigem gibt.

Später bei Impulstanz wird Raimund Hoghe eine weitere Arbeit zeigen – eine aktualisierte Fassung seines Solos Lettere amorose von 1997. Sehr zu empfehlen. (Helmut Ploebst, 26.7.2017)