Gleich geht es zu Titus, um ihn aus dem Weg zu räumen: Marianne Crebassa (als Sesto) in Mozarts "La Clemenza di Tito".

Foto: APA/BARBARA GINDL

Salzburg – Ausstattungsmäßig eine eher reduzierte Angelegenheit, die vom Wesentlichen nicht ablenken will: Das bisschen lichtverzierte Bühnenbild taucht aus dem Boden auf, ist zerschossenes Säulenfragment oder helle, leere Vi trine, um die herum gelitten und intrigiert wird. Auch kommt ein mit Goldbarren schwer beladener Tisch hinauf, dessen Last der beschenkte Titus in seiner Güte gleich für edle Zwecke spendet. Andernorts taucht ein Waffenbastlertisch auf (Bühnenbild: George Tsypin), bei dem der hinkünftige Attentäter Sesto sich eine Bombenweste anlegt.

In Sesto lodert jedoch Zwiespalt: Es hat Titus, diesen Jungen, und dessen Schwester Servilia aus einer Gruppe von Flüchtlingen ausgewählt, die anfangs hinter einer Absperrung von schwer bewaffneten Polizisten streng in Schach gehalten werden. Wen wundert’s, dass Sesto da einen gewaltigen Konflikt in sich trägt, den Marianne Crébassa packend und vokal imposant nachzeichnet.

Schmerz der Güte

Nicht nur wegen Sesto ist hier bald klar: Mozarts letzte Oper, La clemenza di Tito, wird unter den aktualisierenden Händen von Regisseur Peter Sellars, der auch schon einst im ersten Jahr der Intendanz von Gerard_Mortier in Salzburg inszeniert hat, zur trotz Bühnenkargheit deftigen Plattform realer Angstprobleme.

Sellars entwickelt ein Lehrstück der Vergebung und der Reue. Macht, das Thema der diesjährigen Festspiele, nimmt hier die Idealform friedensstiftender Güte an. Die Utopie greift sich Titus als Zentralgestalt, die – durch alle Schluchten der Frustration und der Politzwänge hindurchschreitend – als edler, sich überwindender Herrscher endet.

Viel zu feiern oder zu huldigen bleibt allerdings nicht. Am Ende liegt Titus, von Sesto verwundet, quasi auf der Intensivstation; im Krankenbett sich windend und an Schläuchen hängend, setzt er eine finale Vergebungstat und geht – von der Maurerischen Trauermusik umrahmt – dorthin, von wo noch keiner zurückgekehrt ist. Russell Thomas präsentiert diesen Titus mit einer Intensität, die bis zur Selbstentäußerung geht. In manchen Passagen, die sanftere Töne erfordern würden, fehlen ihm vokale Flexibilität und Dif ferenzierungsmöglichkeit. Dennoch imposant – auch in den riesigen Dimensionen der nackten Felsenreitschule.

Zwischen Terroranschlag, öffentlichem Kerzen- und Blumenmeer und Herrscherattentat sind semikonzertante Belanglosigkeit, bewusst choreografierte Chorrituale und impulsives Spiel zu erleben. Vor allem bemerkenswert aber: die szenische Wirkung des Musikalischen. Wenn plötzlich das Kyrie aus Mozarts Großer Messe in c-Moll anhebt, ist das Trauergeschehen auf eine sublime Ebene gehoben, deren sze nische Wirkung keine umgeschnallte Sprengstoffweste erreichen kann, mag sie noch so plakativ nach Wirkung "brüllen". Es zeigt sich: Die gute Regieabsicht muss nicht zur optischen Imitation der gemeinten Wirklichkeit greifen, um Intentionen zu vermitteln.

Mitunter reicht eine Musikgeste oder eine gute Stimme: Delikat Golda Schultz als racheversessene Vitellia, Christina Gansch präsentiert als Servilia lyrische Momente, sehr kultiviert Jeanine De Bique als Annio und respektabel Willard White als Publio.

Tolle Musiker

Voller Leichtigkeit und doch immer pointiert die Arbeit von Dirigent Teodor Currentzis und dem Ensemble und Chor Music Aeterna. Auf sanfter, historisch informierter Klangbasis herrscht akzentuiertes, unmittelbar wirkendes Gestalten von dynamischen und Tempokontrasten. Der Zugang haucht der Szene auch klanglich jene Tiefe fernab billiger Effekte ein, die der ethisch wertvollen, aber inszenatorisch etwas konventionell-grellen Szene bisweilen fehlt. Großer Applaus, einige Buhs für die Regie. (Ljubiša Tošić, 28.7.2017)