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SPÖ-Chef Christian Kern wäscht den Genossen den Kopf: "Was ist mit euch? Wem es zu bequem ist, der soll das jetzt sagen."

Foto: Reuters/Bader

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Die Botschaft von Kern an die Wähler: "Holt euch, was euch zusteht."

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Wien – Bundeskanzler und SPÖ-Chef Christian Kern wendet sich beim Bundesparteitag in erster Linie an die eigenen Funktionäre. Es brauche einen Motivationsschub in der Partei, die durch interne Streitereien und schlechte Umfragewerte etwas entmutigt erscheint.

Christian Kerns Rede
DER STANDARD

Kern machte im Vorfeld des Parteirats im Gespräch mit dem STANDARD auch kein Geheimnis daraus, dass er mit der Präsentation des Parteiprogramms lieber noch gewartet hätte. Um die Stimmung in der Partei zu heben und die Funktionäre, vor allem jene in Wien, wieder zu motivieren und anzutreiben, sei es aber sinnvoll gewesen, das Programm schon früher der Öffentlichkeit vorzustellen und so auch den Wahlkampf anzukurbeln.

Emotionale Rede

Die Rede am Donnerstag gerät dann recht emotional. 650 SPÖ-Mitglieder, 350 davon Delegierte des Bundesparteirats, sind im Saal des Messezentrums in Wien-Leopoldstadt anwesend. Wiens Bürgermeister Michael Häupl heizt den Saal einmal ein: "Kurz, Strache, nein danke. Es muss Kern Bundeskanzler bleiben."

Michael Häupls Rede
DER STANDARD

Kern geht mit den Funktionären dann auch hart ins Gericht: "Was ist mit euch?", fragt er sie. "Wem es zu bequem ist, der soll das jetzt sagen." Die Partei müsse endlich aus der Lethargie erwachen und zu kämpfen beginnen.

Die SPÖ habe viele Kämpfe geführt und manche gewonnen, sagt Kern vor den Funktionären. "Wir sind noch lange nicht fertig." Es sei Zeit, dass sich die Menschen holen, was ihnen zustehe. "Wir werden die Auseinandersetzung gemeinsam führen, wir werden sie Seite an Seite schlagen." Er selbst kämpfe jeden Tag darum, dass vom Aufschwung alle profitieren und nicht nur ein paar wenige.

Schlagworte und Schlagzeilen

"Dieses Land braucht Veränderung", erklärt der Kanzler in seiner Rede. Aber, so fügt er an: "Veränderung mit Verantwortung. Mit Fingerspitzengefühl. Mit Kompetenz." Das Land brauche einen Plan, und die SPÖ habe einen. "Ja, es ist aufwendig, einen Plan zu entwickeln, aufwendiger, als mit Schlagworten und Schlagzeilen zu provozieren. Aber das ist nicht seriös."

Er wolle Österreich mit seinem Plan in den nächsten zehn Jahren zu einer "modernen Vorzeigenation" machen. Er wolle einen modernen Staat bauen, "in dem sich Leistung wirklich lohnt, alle ihren Beitrag leisten und das Miteinander stärker ist als das Gegeneinander". Darum gehe es am 15. Oktober: "Ein paar flotte Sager oder ein umfassender Plan." Kern: "Und ich sage es ganz deutlich, aus meiner Verantwortung heraus: Österreich ist viel zu schade für diese Politikspielchen, mit Österreich spielt man nicht!"

Flehentlicher Appell

Der SPÖ-Chef wendet sich an die eigenen Funktionäre, und es klingt wie ein flehentlicher Appell: "Ja, es ist Wahlkampf. Wir werden für unsere Ideen rennen und die Menschen von unseren Plänen überzeugen." Und niemand solle sich von den aktuellen Umfragewerten, die für die SPÖ nicht besonders rosig ausschauen, verunsichern lassen. "Ui, da simma gut. Oje, da simma schlecht. Ich halt's mit den Umfragen so wie mit Horoskopen: Ich glaub sie schlicht und einfach nicht."

Kern versucht den eigenen Leuten wieder Mut einzuimpfen und erinnert an Aussagen, die er offenbar öfter zu hören bekommt: "Weißt eh, Christian, das wird schon schwer, Kanzler zu bleiben. Die haben ja mehr Geld, mehr Medien hinter sich. Das wird nicht leicht. Ob wir das schaffen?"

Nein, es werde nicht leicht, diesen Kampf zu gewinnen. "Ja, die haben mehr Geld, ja, sie haben die Medien hinter sich, und ja, die wollen nur über Flüchtlinge reden. Den ganzen lieben langen Tag. Nicht darüber, wie wir Jobs schaffen, leistbare Wohnungen, sichere Pensionen oder die beste Bildung für unsere Kinder."

Interview mit SPÖ-Chef Christian Kern in der ZiB2 am Donnerstag in voller Länge
ORF

Verärgerter Kanzler

Leicht werde es nicht. Und hier klingt der Kanzler fast verärgert: "Aber ganz ehrlich, ich frage euch: Was ist denn das für eine Einstellung? War es leicht für unsere Gründerväter? Hatten es die Frauen leicht, die jahrzehntelang für das Recht, wählen zu dürfen, gekämpft haben oder für das Recht auf Abtreibung? Hatten es die Schwulen und Lesben leicht, die, mit Gefängnisstrafe bedroht, trotzdem für ihre Rechte gekämpft haben und bis heute kämpfen? Hatten es die leicht, die Österreich nach dem Krieg aufgebaut haben und nix hatten? Haben es die leicht in unserer Mitte, die nicht wissen, wie sie ihre Rechnungen zahlen oder ihren Kindern ein gutes Leben bieten können? Was ist schon leicht im Leben?"

Kampf für die richtige Sache

Im Vergleich zu den Kämpfen der letzten 150 Jahre sei der Kampf hin zum 15. Oktober "eine Leichtigkeit". Kern: "Und wir können diesen Kampf mit reinem Herzen und einem Lächeln in unserem Gesicht führen, weil wir für die richtige Sache kämpfen."

Kern nimmt die Genossen dann in die Pflicht: "Wem es zu bequem ist, der soll das jetzt sagen. Diese Menschen zählen auf uns, und ich werde sie nicht enttäuschen. Ich werde kämpfen. Und ich frage euch: Was ist mit euch? Werdet ihr mit mir rennen? Werdet ihr mit mir gemeinsam für diese Menschen kämpfen?"

Jeden Tag nutzen

Hier setzt wieder der Applaus der Funktionäre ein, so als ob sie sich auch selbst Mut machen wollen. Kern bestärkt sie und ruft noch einmal das Motto des Wahlprogramms in Erinnerung: "Ich will, dass ihr die nächsten Wochen, jeden einzelnen Tag dafür nützt, eine einzige Botschaft unter die Leute zu bringen: Holen Sie sich, was Ihnen zusteht." Die Partei müsse zu den Arbeitern gehen, den Studenten, den Frauen, den Pensionisten und Lehrlingen. "Sagt ihnen: Geht wählen, holt euch, was euch zusteht."

DER STANDARD

Nicht um jeden Preis regieren

In einem Video, in dem Kern auf Fragen aus dem Forum des STANDARD eingeht, erklärt er, dass er nicht um jeden Preis in eine Regierung gehen werde. Er wolle das Programm, das die SPÖ im Wahlkampf vorgelegt hat, auch umsetzen. Wenn das nicht möglich sei, könne es auch sein, dass es keine Regierungsbeteiligung der SPÖ geben werde. Kompromisse seien in der Politik notwendig, jene, die er mit der ÖVP habe eingehen müssen, seien aber zu wenig gewesen. Kern: "Das möchte ich nicht mehr haben." (Michael Völker, 3.8.2017)