Von Werner Schwabs Sprache herausgefordert: Claudia Bauer.


Foto: Sandra Then

Graz – Claudia Bauer betritt gerne Neuland. Sie muss zu den Klassikern des Dramenkanons nicht auch noch ihren eigenen Senf dazugeben, findet sie. Hingegen ist es eine Herausforderung und Freiheit zugleich, Texte noch ohne inszenatorischen Referenzrahmen zu stemmen. Deshalb landet die in Bayern aufgewachsene, derzeit am Schauspielhaus Leipzig beheimatete Regisseurin oft bei Uraufführungen. Mit der österreichischen Erstaufführung von Werner Schwabs (1958-1994) Drama Faust :: Mein Brustkorb : Mein Helm schrammt sie daran zwar knapp vorbei; dennoch fühlt sie sich auf unbeackertem Terrain.

STANDARD: Schwab schafft ja eine ganz eigene Erzählung.

Bauer: Bei allen "Fäusten" dieser Welt, von Pessoa über Lessing und Heine, war mir der von Werner Schwab immer der wichtigste. Er hat mich getroffen wie ein Beil.

STANDARD: Der Text ist harter Tobak, sperrig und komplex. Wie oft haben Sie ihn gelesen?

Bauer: Schwer zu sagen, aber da komme ich in Summe wohl so auf die 50-mal. Dieser Faust ist ja Schwabs Alterswerk, wenn man überhaupt so sagen kann. Und wie so oft ist das letzte Werk das komplizierteste. Dieser Text besteht nicht nur aus dem typischen "Schwabisch", sondern enthält mindestens drei Sprachebenen und geht auch in den Vers. Von der philosophischen Mehrdeutigkeit, der Unverständlichkeit und auch der hohen Dichte her ist das unvergleichlich. Der Text wird oft als Faust-Parodie abgetan, aber das ist er überhaupt nicht. So wie dieser Faust sich in seinem Figurenkabinett bewegt, ist das sehr schmerzlich und einsam.

STANDARD: Durch die Figur des alten Faust holt Schwab ja "Der Tragödie zweiter Teil" auch hinein.

Bauer: Ja, und wie er diese Bitternis des Alters herausarbeitet, das ist schon verblüffend. Wie konnte Schwab das wissen? Denn das Alter ist ihm ja erspart geblieben, könnte man so sagen.

STANDARD: Der Text hat eine ganz eigene Grammatik und Rhythmik, ist voller Wortschöpfungen, sodass man beim Lesen schon ins Stocken gerät. Wie gehen Sie damit auf der Bühne um?

Bauer: Mich interessiert genau das Schwierige an Texten. Ich gebe aber auch zu, dass ich bestimmte Sätze nicht sprechen lasse. Weil man diese lesen muss. Da kann der beste Schauspieler der Welt kommen, und man wird diese Sätze dennoch nicht verstehen. Aber es stimmt, dieses Stück übersteigt alles, was sprechbar ist.

STANDARD: Was genau zieht sie an?

Bauer: Hier ist zwischen Sprache und Körper, genau so wie zwischen Arsch und Hirn kein Unterschied mehr. Die Sprache steigt das Gedärm hoch und windet sich durch den Körper, man kann diese Sprache nicht ohne Körper sprechen. Das wird zu einer ganz eigenen Kunstform, wie Tanztheater, nur mit Sprechen. Schwab-Sprechen ist eine eigene Kunstform, tanzdenken. Ich muss also eine eigene Spielweise erfinden, und das reizt mich. Das verlangen nicht viele Autoren.

STANDARD: Sie sind bekannt für formstrenge und bildstarke Abende, z. B. mit Masken. Wird das in Kombination mit der Kunstsprache Schwabs nicht zu viel?

Bauer: Ja, dieser Kampf wird gerade auf den Proben ausgefochten. Das Bild muss die Sprache gebären, darf dabei aber nicht größer sein als sie.

STANDARD: Teilen Sie die Figurenreden auf, denn bei der Besetzung ist jeweils zu lesen "u. a."?

Bauer: Es ist ähnlich wie bei Horváth, der ja ein wichtiger "Großvater" Schwabs war. Da reden die Figuren auch in dieser entfremdeten Weise, sie reden über sich als Konstrukt. Sie sind isoliert von sich selbst. Auch der Faust. Er versucht ja sogar, Briefe an sich selbst zu schreiben! Diese Figuren, bei Horváth wie bei Schwab, sind in höchster Not damit beschäftigt, sich selbst herbeizureden. In dieser Verzweiflung, nicht richtig auf die Welt gekommen zu sein und diese Kluft mit Sprache zu kitten, da entsteht ein Ringen, das ich wiederum recht figurenhaft finde. Sie geistern wie Astronauten in Sprachraumanzügen durchs All.

STANDARD: Uraufgeführt wurde "Faust :: Mein Brustkorb : Mein Helm" 1994 in Potsdam mit Blixa Bargeld als Mephisto. Dann war Sendepause. Warum?

Bauer: Es gab noch eine Inszenierung in Schwerin von Ernst M. Binder. Aber ich komme mir tatsächlich vor wie bei einer Uraufführung.

STANDARD: Warum ist Schwab heute so wenig gepflegt?

Bauer: Ich bin fest davon überzeugt, dass Werner Schwab wieder kommen wird, genau so wie sein ernster nordöstlicher Bruder Heiner Müller. Ich vermute, die Stücke sind einfach zu anstrengend. Es ist übrigens auch kein Nachteil, eine süddeutschsprachige Prägung zu haben. So ganz aber verstehe ich es auch nicht, warum immer nur Die Präsidentinnen gespielt wird.

STANDARD: Stehen Sie sich mit den vorangegangenen "Faust"-Inszenierungen selbst im Weg?

Bauer: Nein, denn es ist ja eine ganz andere Faust-Erzählung. Das Gretchen ist voll emanzipiert, eine krasse Frauenfigur, die sich mit Mephisto einlässt. Es ist eine große Erlösung, wenn man so eine Margarethe inszenieren kann; auch so eine Marthe Schwertlein. Schwab ist ein großer Frauenversteher. Auch dass Valentin nicht der wackere Bruder, sondern ein weiterer Nebenbuhler und eigentlich der Geliebte von Marthe ist, der sich eben mal nach "Frischfleisch" sehnt – all diese Twists, die Schwab bei den Figuren vornahm, setzen extrem viel frei. Die Figuren sind selbstbewusster und monströser als bei Goethe.

STANDARD: Haben Sie Werner Schwab noch kennengelernt?

Bauer: Ich habe ihn leider nur gesehen. Das war beim Theatertreffen 1991, da sah ich Volksvernichtung, und da ist mir das Hirn aufgeklappt. Beim Applaus kam er dann auf die Bühne, er erschien mir als göttlicher Mensch, so ein großer, wunderschöner, strahlender Mann, der sich da verbeugte. Ich hatte das völlige Fan-Gefühl. Ich war geflasht von seiner Kunst und seiner Ausstrahlung. Ich war mir sicher, so muss die Zukunft des Theaters aussehen. Er blieb leider nur eine Einzelerscheinung.

STANDARD: Das klingt nicht so, als wäre das Ihr letzter Schwab?

Bauer: Auf keinen Fall! (Margarete Affenzeller, 27.9.2017)