Kurt Grünewald attestiert der grünen Führungsriege schwere Fehler, die nun zum Absturz der Partei geführt haben.

Foto: Tiroler Grüne

STANDARD: Wo stehen die Grünen nach dem 15. Oktober 2017 in Österreich?

Grünewald: Es ist ein riesiges Desaster. Wenn man nicht mehr im Parlament ist, ist es nicht einfach, wieder hineinzukommen. Zudem stehen demnächst drei größere Landtagswahlen ins Haus. Dabei dieses Minus zu egalisieren, wird mit weniger Geld und weniger Ressourcen äußerst riskant und mühsam sein. Was mich stört, ist, dass alle grünen Strategen, die Parteiführung wie auch die Basis, sich schockiert geben und aus allen Wolken fallen. Da frage ich mich schon, ob nicht einige dieser Leute den Instinkt hätten haben müssen, diese Trendwende irgendwie zu erkennen.

STANDARD: Ein oft formulierter Kritikpunkt lautet, die Grünen seien nicht mehr grün genug. Ist das berechtigt?

Grünwald: Das halte ich für völligen Unsinn. Aber einige wichtige Leute der Grünen haben das geglaubt. Das hat dazu geführt, dass die grüne Presse und PR vorwiegend die Themen der Spitzenmandatare übernommen haben. Für andere war es wiederum extrem schwer, mit ihren Themen durchzukommen. Ich kann mich gut erinnern, als ich mit Karl Öllinger einmal versucht habe, eine dringliche Anfrage oder Sondersitzung zu den Themen Soziales und Gesundheit zu machen: Das wurde glattweg abgelehnt. Harald Walser hat sich sehr um das Thema Bildung bemüht, das die Grünen als Schwerpunkt deklariert hatten, in der Realität wurde es aber letztlich kein Schwerpunkt. Das sind Sachen, die einen nachdenklich stimmen.

STANDARD: Ihre Worte erinnern an die von Johannes Voggenhuber.

Grünewald: Voggenhuber war immer ein von der grünen Spitze und auch von der Basis sehr kritisierter Mann – weil er sich einerseits kein Blatt vor den Mund genommen hat, andererseits hat er diese Kritik intern nie so massiv gespielt, wie er sie dann außen vorgetragen hat. Trotzdem ist in dem Kommentar von ihm nicht alles falsch. Van der Bellen hat damals eine große Autorität innerhalb der Partei gehabt. Ich frage mich bis heute, warum das so war. Denn die Grünen sind ja nicht solche Star-Verehrer und stehen Ikonen immer kritisch gegenüber. Aber Van der Bellen hatte da freie Hand, und so wurde in den Gremien einiges nicht so angesprochen, wie man es hätte tun sollen.

STANDARD: Was meinen Sie damit?

Grünewald: Ein großes Problem war bei den Grünen, dass wichtige Leute extrem sensibel auf andere Vorschläge oder Ansichten und auch freundliche Kritik reagiert haben. Da war sofort zu hören 'Die üblichen Verdächtigen!' oder "Es droht ein Putsch!'. Das war natürlich ganz schlecht. Eva Glawischnig wiederum verfügte nicht in dem Ausmaß über diese Autorität wie Van der Bellen, sodass sie nicht alles ruhig halten konnte. Dabei hat dann Peter Pilz eine nicht nur erfreuliche Rolle gespielt. Das waren die ersten Anzeichen.

STANDARD: Zählen Sie dazu auch den Zwist mit den Jungen Grünen?

Grünewald: Die Jungen Grünen waren immer ein bisserl problematisch in manchen Dingen. Ich erinnere an die Aufregung um das Flaggerl aufs Gackerl. Aber es gibt größere Katastrophen. Nur herrschte da immer sofort Panik. In Kärnten sind sie einmal mit einer Tito-Fahne spazieren gegangen, und sofort hieß es, wenn die Grünen die Wahl verlieren, sind die Jungen schuld. Da hat man ungeschickt agiert. Man hätte etwas toleranter sein können, denn eine Gefahr haben sie nie dargestellt.

STANDARD: Gibt es rückblickend noch andere Fehler?

Grünewald: Die Grünen haben zu Recht sehr auf Bürgerinitiativen gesetzt. Was sie aber nicht gesehen haben, ist, dass sich die Bürgerinitiativen irgendjemanden suchen, von egal welcher Partei, der sie unterstützt in ihren Anliegen. Aber das heißt nicht, dass die dann Grünen-Wähler werden, wenn ihre Sache umgesetzt ist. Das war ein großer Irrtum, der sich bis heute hält.

STANDARD: Mittlerweile sind die Grünen nicht mehr nur Oppositionskraft, sie regieren in einigen Bundesländern mit. War diese Verantwortung zu viel?

Grünewald: Es war vielfach so, dass die Grünen Startschwierigkeiten hatten, als sie sich plötzlich in Regierungsverantwortung wiedergefunden haben. Vor allem als Partner der ÖVP. Sie haben sich dort sehr rasch aus der alten Kritiker- und Oppositionsrolle herausentwickelt. Das verstehe ich schon. Aber es wurde letztlich nicht so kommuniziert, dass die Leute das verstehen.

STANDARD: Sehen Sie auch inhaltliche Fehler?

Grünewald: Dinge, von denen man wusste, damit lässt sich nicht viel gewinnen – wie eine vernünftige und wissenschaftlich untermauerte Drogenpolitik oder Palliativmedizin und Hospizwesen –, hat man maximal in Zwischenwahlzeiten ansprechen können. Man hat dabei übersehen, dass sich viele aus der älteren Generation bei ÖVP und SPÖ nicht mehr wirklich aufgehoben gefühlt haben, aber die wurden ausgeklammert. Doch ist es ein Irrtum zu glauben, je jünger ein Mandatar, umso besser ist er im Parlament. Da waren manche ältere revolutionärer. Das war eine nicht ganz ausgewogene Klientelbetreuung. Die Spitze hatte ihre fixen Vorstellungen, wer auf die Bundesliste sollte. Und hat das einmal nicht geklappt, herrschte in den Führungsgremien sofort blanke Entrüstung. Das war nicht so demokratisch, wie man es von den Grünen erwarten würde.

STANDARD: Sollte man also die Basisdemokratie als Auswahlverfahren überdenken?

Grünewald: Teilweise wird man sie überdenken müssen – ohne dass man sie ganz kippt, das wäre zu radikal. Aber es fällt schon auf, dass im Parlament keine ausgewogene Expertise mehr vorhanden gewesen wäre, und das stört mich schon. Wären wir am 15. Oktober hineingekommen, hätten wir zum Beispiel niemanden mehr für den Bereich Gesundheit gehabt. Da sollte die Spitze zumindest sagen dürfen, wir brauchen Leute aus bestimmten Fachgebieten.

STANDARD: In Tirol will man für die kommende Landtagswahl an Ingrid Felipe als Spitzenkandidatin festhalten. Ist das nicht ein Risiko nach dieser Niederlage?

Grünewald: Um es diplomatisch zu sagen: Jede Wahl ist ein Risiko. Am 15. Oktober sind ja sehr viele Grünen-Wähler aus taktischen Gründen zur SPÖ übergelaufen. Diese Gefahr besteht bei der Landtagswahl in Tirol nicht mehr, also kann man dieses Risiko auf sich nehmen. Aber es wird langfristig eine größere Erneuerung brauchen. Etwas verblüfft war ich von Maria Vassilakou, die sich in einem ORF-Interview gleich für höhere Ehren angeboten hat, obwohl sie in Wien genauso eingefahren ist wie alle anderen. Da muss man aufpassen, und das traue ich dem Werner Kogler zu.

STANDARD: Welche Chancen sehen Sie für die Grünen bei den anstehenden Landtagswahlen?

Grünewald: Ich kann nur hoffen, dass sie sich in Tirol fangen. So schlecht wie bei der Nationalratswahl wird es sicher nicht. Aber entscheidend wird sein, dass sie in den Ländern wieder in die Landesregierungen kommen. Und da würde ich jetzt nicht alles drauf verwetten, ob das gelingt. Aber sie müssen es unbedingt versuchen, denn wenn da etwas danebengeht, wird es sehr kritisch für die Grünen.

STANDARD: Was muss auf Bundesebene passieren, um in fünf Jahren den Wiedereinzug zu schaffen?

Grünewald: Leider spielt bei Wahlsiegen das Geld eine riesige Rolle. Das finde ich nicht gut, es ist aber so. An der Bundesspitze wird es etwas Erfrischendes brauchen. Da muss sich vieles ändern. Aber auch das traue ich Kogler zu. Man wird Personen suchen müssen, die Charisma, Standfestigkeit und Kreativität haben. Die Lähmung durch die Finanzkrise der Partei ist jedoch eine große Herausforderung.

STANDARD: Machen Sie sich persönlich Sorgen, ob die Grünen wieder auf die Beine kommen, oder sind Sie davon überzeugt?

Grünewald: Ich mache mir mehr Sorgen, als dass ich überzeugt wäre. Langfristig glaube ich, wenn man Geduld wahrt und nicht in Panik verfällt, wird es in fünf Jahren anders aussehen. Denn wenn Schwarz-Blau kommt, wird einigen Wählern ein Licht aufgehen, was sie da gewählt haben. Sebastian Kurz will mindestens 22 Milliarden Euro einsparen. Zu glauben, das werde niemand spüren, ist ein Hasardspiel, das nicht gut ausgehen wird. Da rechne ich den Grünen schon wieder Chancen aus, wenn die Leute erkennen, dass nicht jedes Problem in Österreich migrationsbedingt ist. So ungern ich diese Koalition habe, sehe ich doch eine Riesenchance darin. Man könnte in der Bundespartei versuchen, ein Schattenkabinett aufzubauen, um in den kommenden Jahren nicht ganz von der Bildfläche zu verschwinden. (Steffen Arora, 20.10.2017)