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Wie wird in Norddeutschland gekocht? Lehrlinge können mit Erasmus+ im Ausland Erfahrungen sammeln.

Foto: dpa/Peter Steffen

Wie bereiten Hamburger Köche einen Bismarckhering zu? Wie bäckt der Pizzaiolo in Parma die perfekte Pizza? Essen verbindet bekanntlich – das Mobilitätsprogramm Erasmus+ für Lehrlinge auch. Wer Erasmus hört, denkt eher an Studierende, die in Italien oder Spanien ein aufregendes Semester verbringen. Doch auch für Lehrlinge gibt es die Möglichkeit, Erfahrungen im Ausland über das Programm zu sammeln. Letztes Jahr haben 727 Jugendliche diese Chance ergriffen.

Für den integrativen Betrieb Wien Work ist es bereits seit 15 Jahren Tradition, jährlich eine Gruppe von Lehrlingen über Erasmus nach Deutschland zu schicken. Bei Wien Work finden Menschen, die wegen einer Behinderung oder chronischen Erkrankung schwer am regulären Arbeitsmarkt integrierbar sind, einen Ausbildungsplatz oder einen Job. Derzeit machen 170 Lehrlinge eine überbetriebliche Lehre in verschiedenen Berufen.

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"Warum sollen nicht auch behinderte Jugendliche im Ausland ein Praktikum machen?", fragte sich der Geschäftsführer von Wien Work, Wolfgang Sperl. Acht bis zwölf Jugendliche mit Begleitpersonen werden jedes Jahr für vier Wochen zu einer Partnerorganisation nach Deutschland geschickt, die sich um die Praktikumsstellen kümmert. Deutschland wurde aufgrund der Sprache ausgewählt, denn "für unsere Jugendlichen ist es schon exotisch, deutschen Dialekt zu hören. Viele sind zum Teil ja noch nie aus Wien hinausgekommen. Für die ist natürlich eine Reise nach Hamburg ein Wahnsinn", erklärt Sperl.

Im Ausland lernen die Lehrlinge neue Arbeitstechniken. Beispielsweise würden die Kochlehrlinge in Norddeutschland lernen, dass man dort ein Schnitzel anders zubereitet als bei uns. Man könne sich gut austauschen: "Dafür lernen wir Fischküche", sagt Sperl. Vom Stärken des eigenen Selbstbewusstseins würden die Teenager jedoch besonders profitieren.

Dass nicht nur in der Küche die Arbeitsweisen anders sind, hat ein 20-jähriger Malerlehrling von Wien Work erfahren, der im dritten Lehrjahr sein Auslandspraktikum in Südhessen verbracht hat: "Am interessantesten fand ich, zu sehen, dass vor Ort teilweise mit ganz anderen Werkzeugen als bei uns gearbeitet wird. Hier konnte ich einiges dazulernen." Er ist sich außerdem sicher, dass "ein Teilnahmezertifikat eines Auslandspraktikums bei Vorstellungsgesprächen nach meiner Lehrzeit sicher gut ankommt".

Unternehmen profitieren auch

Das Mobilitätsprogramm Erasmus+ gibt es in seiner heutigen Form seit 2014. Laut dem Österreichischen Austauschdienst (OeAD) haben seitdem über 7.000 Lehrlinge den Schritt gewagt, zwischen zwei Wochen und zwölf Monate im Ausland zu verbringen. Doch bleiben die meisten lediglich zwei bis vier Wochen im Gastland; damit liegen die österreichischen Lehrlinge im europäischen Trend. Die beliebtesten Ziele sind Großbritannien, Italien, Spanien, Deutschland und Irland.

Das Beherrschen der jeweiligen Landessprache ist keine Voraussetzung – allerdings werden Vorbereitungskurse von Österreich und der EU gefördert. Die finanzielle Unterstützung für den Auslandsaufenthalt kommt von der EU: Für ein vierwöchiges Praktikum in Paris würde man beispielsweise insgesamt 1.330 Euro für Reisekosten, Aufenthaltskosten etc. erhalten.

Für die Organisation der Auslandspraktika ist der Verein Internationaler Fachkräfteaustausch (IFA) zuständig. Die IFA beantragt und vergibt die von der EU zur Verfügung gestellten Fördermittel. Hier hat man die Erfahrung gemacht, dass nicht nur die Jugendlichen vom Praktikum profitieren würden, sondern auch die Unternehmen selbst. Die Steigerung der Attraktivität als Lehrbetrieb, das Knüpfen von internationalen Kontakten und die gesteigerte Kompetenz der Lehrlinge nach ihrer Rückkehr sind häufige Motive.

Interesse stark gestiegen

Im Vergleich zu seinem Vorgängerprogramm Lebenslanges Lernen hat sich das Interesse an Erasmus+ für Lehrlinge verdoppelt. Jedoch sei die Organisation schwieriger, sagt der Geschäftsführer vom OeAD, Stefan Zotti: "Ein wesentlicher Grund liegt sicher darin, dass mehr Akteure beteiligt sind, die zustimmen müssen bzw. mit denen ein Auslandsaufenthalt abgestimmt werden muss, nämlich Berufsschule und Unternehmen." Außerdem würde bei längeren Praktika besonders in kleineren Unternehmen einfach die Arbeitskraft fehlen.

Über das Fehlen von Arbeitskräften beklagt sich auch Sperl, da die Jugendlichen unbedingt eine Begleitperson brauchen würden: "Wenn Erasmus auch Personalkosten abdecken würde, dann wäre das sehr hilfreich. Denn ich muss ja hier jemanden abziehen, und der Mitarbeiter fehlt dann", sagt Sperl. Außerdem würde der Auslandsaufenthalt nur für etwa acht bis zwölf Lehrlinge gefördert. Sein Ziel ist es, dass für jeden Lehrling ein Auslandsaufenthalt fixer Bestandteil der Ausbildung wird. (Alexandra Unsinn, 13.11.2017)