Die ordentlichen Professoren stehen an der Spitze des Unis – in Deutschland wie in Österreich. Diese Machtkonzentration wird zunehmend kritisiert. Im Bild: Der 650-Jahr-Festakt der Uni Wien 2015 bot den Lehrstuhlinhabern Gelegenheit, ihre Talare auszuführen.

Foto: Matthias Cremer

Als vor seinem Haus Bauarbeiter die Straße aufrissen, trat der Philosoph Kuno Fischer, Ordinarius an der Uni Heidelberg, auf seinen Balkon und dekretierte lakonisch: "Wenn der Lärm nicht sofort aufhört, nehme ich den Ruf nach Berlin an!" Die Arbeiten hörten auf, Fischer starb 1907 in Heidelberg. Die Anekdote steht exemplarisch für die Stellung, die ein Professor in der traditionellen deutschen "Ordinarienuniversität" hat.

In seinem Buch Die Gelehrten vergleicht der Historiker Fritz K. Ringer die Professoren des deutschen Kaiserreichs gar mit chinesischen Mandarinen. Tatsächlich genossen Lehrstuhlinhaber damals eine patriarchal anmutende Machtfülle: Je Institut gab es nur einen ordentlichen Professor, der allein und niemandem Rechenschaft schuldig Ausrichtung in Forschung und Lehre bestimmte und über Finanzen und Personal verfügte. Die Schlüsselpositionen der universitären Selbstverwaltung – Rektor, Dekane und Senatsmitglieder – wurden ausschließlich von Lehrstuhlinhabern bekleidet. Wissenschaftsmanagement war noch kein eigener Karrierezweig, externe Expertise war unerwünscht.

Protest gegen Ordinarien

Trotz Studentenbewegung und Reformversuchen hat sich bis heute wenig verändert. Noch bevor die Studenten mit dem Slogan "Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren" gegen die Ordinarienuniversität protestierten, kritisierte der deutsche Wissenschaftsrat 1967 das "monokratische Direktorialprinzip" und schlug die Einführung von Sonderforschungsbereichen vor, in denen Wissenschafter verschiedener Hierarchieebenen auf Augenhöhe forschen. Die ersten Sonderforschungsbereiche kamen noch im selben Jahr, haben aber keine dauerhafte Veränderung der universitären Strukturen bewirkt.

Nach nach wie vor stehen die Lehrstühle organisatorisch im Zentrum der deutschen Universität und haben viele ihrer Standesprivilegien bewahrt: Gelder, Räume und Forschungsgeräte werden den Lehrstühlen zugeordnet, über deren Nutzung ihre Inhaber frei verfügen. Ebenso werden ihnen wissenschaftliche Mitarbeiter gestellt, die sie aussuchen und ihnen zuarbeiten müssen.

Selbst die grundgesetzlich verankerte Freiheit der Wissenschaft ruht allein auf ihren Schultern, entschied das Karlsruher Verfassungsgericht 1973. Nur Professoren seien die "eigentlichen Träger der freien Forschung und Lehre innerhalb der Universität" – denen alle anderen weisungsgebunden unterstehen, die nicht selbstständig forschen und lehren dürfen, außer ihr Chef lässt sie.

Und diese "anderen" sind viele. Nur zwölf Prozent des wissenschaftlichen Personals deutscher Hochschulen steht heute im Rang eines Professors. Ihnen gegenüber steht ein großer, weitgehend prekär beschäftigter akademischer Mittelbau von Doktoranden und Assistenten, akademischen Räten und Privatdozenten.

Die Pyramide hat sich in den vergangenen Jahren durch die Exzellenzinitiative und Drittmittelprojekte, in denen vor allem befristete Mittelbaustellen geschaffen wurden, noch zugespitzt. Obwohl heute so viele Studierende wie nie promovieren, sind die Aussichten auf einen dauerhaften Verbleib in der Wissenschaft schlechter denn je. Wer es nicht auf eine Professur schafft, muss sich beruflich umorientieren.

In Deutschland ist die Debatte nun durch einen radikalen Vorschlag der Jungen Akademie belebt worden, einer Wissenschaftsakademie für Nachwuchsforscher in Berlin. In ihrem im Oktober publizierten Papier " Departments statt Lehrstühle" wird vorgeschlagen: Der akademische Mittelbau solle abgeschafft, das Geld stattdessen für mehr Professuren eingesetzt werden. Statt Gelder, Forschungsgeräte und Sekretäre einzelnen Lehrstühlen zuzuordnen, sollten sie dem Department insgesamt gehören und als geteilte Ressourcen von allen Professoren als gleichberechtigten Kollegen genutzt werden können.

Demokratie und Offenheit

Neuen Professuren sollen nach dem Tenure-Track-Modell besetzt werden, bei dem jüngere Wissenschafter vorläufig Professuren erhalten, die nach einer Bewährungsphase entfristet werden. Für den bis jetzt auf Mittelbaustellen beschäftigten Nachwuchs stiege mit den neuen Professuren die Chance auf eine Dauerstelle. Die bisher auf den Lehrstuhlinhabern lastenden Verwaltungsaufgaben würden sich auf mehr Schultern verteilen, sodass die Professoren wieder mehr Zeit für ihre Kernaufgaben in Forschung und Lehre hätten.

Morgens ins Büro zu kommen und ihren Mitarbeitern zu bescheiden, was heute untersucht wird, sei nicht ihr Rollenverständnis, sagt Jule Specht, Psychologieprofessorin an der Humboldt-Uni Berlin, Sprecherin der Jungen Akademie und Mitautorin des Papiers. "Als Professorin verstehe ich mich als jemand, der forscht und lehrt, nicht als jemand, der bestimmt, was andere zu tun haben."

Für Specht geht es bei der Departmentstruktur um Kollegialität – aber auch um Demokratie und Offenheit der Hochschulen: "Wissenschaft passt nicht gut zu Hierarchien. Jemand hat nicht nur recht, weil er auf einer höheren Hierarchiestufe steht. Wenn Wissenschafter auf Augenhöhe ihre Arbeit machen und gemeinsam über die Institutsressourcen verfügen, ist das ein Beitrag zu einer demokratischeren Wissenschaft."

Flachere Hierarchien und planbarere Karrierewege könnten die universitäre Laufbahn auch für Frauen attraktiver machen und zu einer vielfältigeren, bunteren Professorenschaft beitragen. Der Debattenbeitrag fand in Deutschland viel Beachtung – setzt er doch ein starkes Zeichen in einer an Fahrt aufnehmenden Debatte um die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft. Mittlerweile gibt es in Deutschland eine Reihe von Initiativen, die sich der Interessen des Mittelbaus annehmen, etwa das im Jänner gegründete "Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft". Auch der Gesetzgeber wurde aktiv: Im Jänner 2016 beschloss der Bundestag eine Reform, die die Befristung von Arbeitsverträgen an Unis einschränkt, diesen Juni folgte ein "Nachwuchspakt", der eine Milliarde Euro für Tenure-Track-Professuren vorsieht. Die Departmentstruktur wurde bereits 2014 vom Wissenschaftsrat empfohlen und wird an Unis in Bremen, Lübeck und Mannheim erprobt.

Keine Debatte in Österreich

Obwohl prekäre Beschäftigung auch an österreichischen Universitäten zunehmend in der Kritik stehen, ist die Debatte über die Schwächung der Lehrstuhlstruktur noch nicht recht hinübergeschwappt. Laura Sturzeis, Sozioökonomin an der Wirtschaftsuni Wien und Doktorandin im Bereich Hochschulforschung an der Uni Klagenfurt, sieht einen Grund dafür in der im Universitätsgesetz von 2002 eingeführten Hochschulautonomie. Seither haben die österreichischen Universitäten Personalhoheit: Wissenschafter sind nicht mehr Beamte im Dienst der Republik Österreich, sondern Angestellte der Uni.

Tenure-Track-Professuren würden darum den Kollektivvertragspartnern obliegen, also der Gewerkschaft und den Hochschulleitungen. Obzwar schon der Kollektivvertrag von 2009 die Einführung von Tenure-Track-Professuren vorsah, habe sich das Modell bisher noch nicht flächendeckend durchgesetzt. Ein echter struktureller Wandel steht an den Unis also nach wie vor aus. (Miguel de la Riva, 20.11.2017)