Er ist der "Dreckskerl" schlechthin, zumindest in der Übersetzung von Thomas Brasch. Buckel, Hinkefuß, verkrüppelte Hand, Blick aus rot geränderten Augen.

In München spielt Norman Hacker diesen Besessenen, bei dem die sichtbare Verstellung immer abrufbar ist, und am Anfang des zweieinhalbstündigen Abends ist sie das fast immer. Für die Verhältnisse des als notorischer Texteindampfer bekannt gewordenen Regisseurs Michael Thalheimer ist dies ein vergleichsweise langer Abend. Das populäre Eröffnungszitat, das (bei Schlegel) das Ende des "Winters unseres Missvergnügens" verkündet, hat er gestrichen. Und einen Königsmord der Vorgeschichte auf die Bühne verlegt.

Richard Gloster schneidet Heinrich VI. (Philip Dechamps) die Kehle durch – was Sibylle Canonica als Witwe Margret die Vorlage für ihre gespenstisch in Stein gemeißelten Flucharien liefert. Hacker zeigt als Mörder erheblichen Körpereinsatz, wenn der andere in seinem Würgegriff zappelt und verblutet. Dem hündisch er gebenen Handlanger Catesby (Marcel Heuperman) genügt eine rote Einkaufstüte als Mordwerkzeug.

Aus der Unterwelt

Nach diesem Auftakt ist schon klar, dass Richard genauso enden wird. Zuvor belässt ihm Thalheimer aber das berühmte Angebot vom "Königreich für ein Pferd". Sogar als Wiederholungsschleife.

Thalheimers Richard III. ist kein Blick in den Abgrund Mensch. Er spielt schon auf dessen Grund. Also in Richards Kopf, in seiner schwarzen Seele. Thalheimers ewiger und kongenialer Ausstatter Olaf Altmann hat einen mit Brettern ausgeschlagenen Schacht auf die Bühne gesetzt, dessen oberes Ende man nicht sieht, nicht mal ahnt. Erst als dem Monster die Kehle durchgeschnitten wird, fällt ein Lichtstrahl von oben in das Dunkel. Sonst gibt es hier wie bei den Kostümen nur verschiedene Stufen von Grau und Schwarz. Der Boden ist bedeckt mit einer Schicht (vielleicht) verkohlter Blätter, aus denen sie alle hervorkriechen wie aus der Unterwelt.

Mit Hinkefuß und erheblichem Körpereinsatz: Norman Hacker überschreitet als Despot die Grenze zum Wahnsinn.
Foto: Matthias Horn

Sobald Gloster sich die Krone ergaunert hat, verzichtet er auf Hinkefuß und Buckel. Sie haben sich gleichsam nach innen verlagert. Jetzt ist er wirklich verrückt. Und nicht mehr der Dreckskerl, von dem er angekündigt hatte, dass er ihn spielen wolle, weil die Rolle des Liebhabers nicht tauge für ihn. Jetzt wird er zum Psycho. Hacker läuft dabei zur Mimenhochform auf.

Wahnsinniger Machtmensch

Heute käme dieser Richard mithilfe von Gutachtern ins Gefängnis. Doch müsste man nicht eigentlich miterleben, wie er ins Weiße Haus käme? In München implodiert ein Machtmensch in den Wahnsinn, der in der Realität dieser Tage in die Politik explodiert. Dass Thalheimer damit möglicherweise ein Missverständnis als Albtraum fantasiert, wird im Vergleich mit Jan Bosses aktueller Inszenierung am Schauspiel Frankfurt offenkundig: Da lässt sich der Richard Wolfram Kochs zu Beginn seinen Schlips so überlang binden wie Trump. Und er erlangt die Macht, weil er offensiv und kalkuliert den Dreckskerl gibt. Er verbreitet den Schrecken der Wiedererkennbarkeit und erzeugt nicht Mitleid für einen wirklich Kranken.

Thalheimer, der einst mit seinen aufs Wort setzenden Eindampfungen faszinierte, ist mit seinem Richard III. hingegen bei den Kunstblut- und Überdruckgebrüll-Marotten heutiger Scheinmodernität gelandet – oder diese bei ihm. Schade eigentlich. Dass man mit Richard Gloster keine Erdbeere essen würde, war schon immer klar. Ein Monster hinter der Scheibe im Terrarium ist dieses Lehrbeispiel des Bösen allerdings auch nicht. Diesem Monster kommt man in Frankfurt bei Jan Bosse diesmal näher, als in München bei Michael Thalheimer. (Joachim Lange, 1. 1. 2018)