Der Kurort Tanzsaal als Labor für "Therapie-Performances": "iChoreography" von Magdalena Chowaniec und Valerie Oberleithner.


Foto: Erli Grünzweil

Wien – Mit einem handschriftlichen "Fuck you" antwortete US-Konzeptkünstler Bruce Nauman auf eine Anfrage des britischen Performanceduos Lone Twin. Die Twins Gary Winters und Gregg Whelan wollten von dem Kunststar einen Beitrag für ihr Stück Last Act of Rebellion, das zum Auftakt des Imagetanz-Festivals vom Brut-Theater im Werk X Eldorado gezeigt wurde.

Tanz- und Performancekünstler laden seit Jahren gerne Kolleginnen und Kollegen ein, etwas zu einem ihrer Projekte beizusteuern. Das können richtige Stücke sein, wie 2002 bei In bester Gesellschaft (mit Arbeiten von Christine Gaigg, Wendy Houstoun, Superamas und Christine De Smedt) der Wiener Choreografin Milli Bitterli, oder einfach Statements respektive Anweisungen wie in Last Act of Rebellion. Naumans Antwort war in Bezug auf den Titel äußerst präzise. Wem beim Akt eines Aufstands wogegen auch immer nichts – Besseres – einfällt, nutzt als letzte Möglichkeit die Verbalinjurie.

Ähnlich reagierten die New York City Players Richard Maxwell und Jim Fletcher, die vor etlichen Jahren auch in Salzburg gastierten, auf Lone Twins Einladung. Sie schickten ein Video, in dem einer der beiden am Ende seinen nackten Hintern zeigt. Weniger eindeutig, dafür hintergründiger sind die Beiträge anderer Kollegen: unter anderen Brian Saner von der Gruppe Goat Island (1987- 2009) aus Chicago, Pete Shenton und Tom Roden vom britischen New Art Club oder Ingrid Holm vom norwegischen Künstlerkollektiv Baktruppen (1986-2011).

Allen gemeinsam ist ein ironisch-melancholischer Grundton, dem Winters und Whelan eine von britischem Humor gehaltene Struktur geben, in der sie sich auch direkt an das Publikum wenden: "Auch wenn Sie den einen oder anderen Workshop besucht haben und denken: Was da gezeigt wird, kann ich auch tun – tun Sie's nicht." Ein guter Rat, denn hier ereignet sich die hohe Kunst des scheinbar Kunstlosen, in der vermeintlich simple Techniken und banal erscheinende Formen eingesetzt werden. Bei Lone Twin ist dieses schwierige Genre in höchster Virtuosität umgesetzt.

Davon ist die zweite Performance des Imagetanz-Eröffnungswochenendes einigermaßen entfernt. Bei iChoreography von Magdalena Chowaniec und Valerie Oberleithner im Wuk geht es nicht um das Hinschwinden der alten Rebellion, sondern um das Aufkeimen einer neuen. Nach dem Scheitern der explizit auf Wirksamkeit ausgerichtet gewesenen politischen Kunst seit den 68ern müssen sich nun deren Nachfolger jenen Themen widmen, die bisher ignoriert worden sind.

Bei iChoreography sind das die verheerenden Folgen der industriellen Ausbeutung von Jugendlichen durch den Missbrauch ih- rer Kommunikationsbedürfnisse. Nicht nur die Kids, sondern auch Eltern sind häufig Smartphone-"Opfer". Chowaniec und Oberleithner ziehen ihre Arbeit als "Kurort" und "Therapie-Performance" gegen diese Sucht zusammen mit vier Teenagern auf. Gemeinsam versuchen die sechs, dem Desaster mit Lockerheit zu begegnen. Um die künstlerische Form scheren sie sich dabei wenig. In ihr therapeutisches Display wird auch das Publikum mit hineingezogen: sanft, aber beharrlich und mit allen Sinnen. (Helmut Ploebst, 4.3.2018)