Ein Tisch am Fenster ist ihm wichtig: Der gebürtige Scheibbser Hubsi Kramar braucht die gute Aussicht.


Foto: Regine Hendrich

Wien – Nein, eigentlich kann er es gar nicht sein. Der Mann, der gleich ein Interview anlässlich seines Siebzigers geben soll, sieht nämlich aus wie fünfzig. Nachdem er vorschlägt, woanders hinzugehen, weil das hier ja "so ein richtiges ÖVP-Café" sei, wird klar: Er ist es doch. Hubert "Hubsi" Kramar, schillernde Figur der Wiener Off-Theater-Szene, Tatort-Kieberer, politischer Aktivist, ewiger Streiter für die marginalisierte österreichische Linke – will dann doch bleiben. Weil ein Tisch mit Ausblick ins Freie frei wird. "Das brauch ich", sagt er, "jetzt geht's!"

Ausbruch, Aufbruch, permanenter Freiheitsdrang – damit lassen sich Leben und Wirken Hubsi Kramars begrifflich umreißen. Seinen Siebziger will er mit einem Leonard-Cohen-Abend im Wiener Rabenhof feiern. Warum Cohen? "Weil er der Intellektuellste von allen war", sagt Kramar. Alle, damit meint er jene Künstler und Querdenker der 68er-Bewegung, die der autoritären Nachkriegsgesellschaft den Kampf ansagten.

Ein kurzes Aufflackern

"Diese Freiheit war ein völlig anderes Existenzmuster. Wohnen hat nichts gekostet, man konnte studieren, wie und was man wollte. Es gab nicht dieses Wirtschaftsdiktat, man wurde nicht abgerichtet, um zu funktionieren. Die 68er waren ein kurzes Aufflackern einer Freiheit, bald darauf war schon der Neoliberalismus da." Man habe auch anders getanzt miteinander. "Man war sich körperlich sehr nahe. Anders als heute, wo da vorne ein DJ steht, und jeder ist für sich wahnsinnig schön, und keiner sieht den anderen. Was ist das für eine Kommunikation?" Überhaupt sei heute, im Zeitalter der Selfiekultur und Einzelkinder, alles narzisstisch.

Kramar selbst war das jüngste von sieben Kindern. Da mache man andere Erfahrungen mit Kollektiv und Durchsetzungsfähigkeit. In der Jugend zog es ihn – eine Brücke auch zu Cohen – viel in die Welt hinaus. In Marokko, Sehnsuchtsort der 68er, verbringt Kramar noch heute seine Winter. Er studierte am Max-Reinhardt-Seminar, wurde rasch am Burgtheater und an der Staatsoper engagiert. "Bei den Aufnahmeprüfungen habe ich immer das Gretchen vorgesprochen. Das hat immer funktioniert." Weitere Studien führten nach Harvard, Paris oder New York. Durch den Erfolg bei Film- und Fernsehen konnte er es sich leisten, sich leidenschaftlich dem Off-Theater zu widmen. "Mich interessiert die Kunst als Beitrag zur Entwicklung des Menschen, nicht ein Totenkopf aus Diamanten, der zehn Milliarden Euro wert ist."

Und der Aktionismus? "Das ist meine eigentliche Arbeit, wenn man so will." Wurzeln würde das Ganze darin, dass er als Heranwachsender einmal Kanzler Bruno Kreisky öffentlich widersprochen habe, "schwitzend und nervös". International bekannt wurde Kramars Auftritt im Adolf-Hitler-Kostüm beim Opernball im Jahr 2000, um gegen die erste schwarz-blaue Regierung zu protestieren.

Winnie und Adi

"Es war eine zufällig entstandene Idee, nichts Geplantes. Wir hatten damals gerade die Produktion Nazis im Weltall, und da gab es eben das Kostüm. Für mich ist bei künstlerischen Aktionen wichtig, dass sie auch eine bestimmte Art von Humor haben. Als ich mich bei der Spitzelaffäre an der Pallas Athene angekettet habe, sind die Polizisten gekommen und haben gesagt: Wir finden super, was Sie machen, Herr Kramar, aber wir müssen Sie leider verhaften."

"Kinder, es ist eure Welt"

Mit der "Keller-Soap" Pension Fritzl aus dem Jahr 2009, eine Farce, mit der er die Sensationslust der internationalen Boulevardpresse bloßstellen wollte, erregte Kramar letztmalig größeres Aufsehen. Danach wurde es ruhig.

"Es ist mir am Wecker gegangen, dass immer, wenn es gebrannt hat, man bestimmte Leute angerufen hat. Irgendwann hab ich mir gedacht, Kinder, es ist eure Welt, es ist eure Zukunft. Wenn ihr nicht selbst Strategien entwerft, könnt ihr darin nicht erfolgreich sein. Mit Uni brennt haben sie zum ersten Mal so was versucht, dann sind sie halt zu Weihnachten heim zum Christbaum gefahren, und die Sache war tot. Widerstand ist aber eine permanente Haltung."

Dass sich gegen die Neuauflage der ÖVP-FPÖ-Regierung verhältnismäßig wenig Protest formiert, verwundert Kramar nicht. "Es ist auch damals rasch abgeebbt." Vor allem Künstler seien oft unsolidarisch. Und heute habe man es inklusive Neos eben mit einer "rechten" Zweidrittelmehrheit zu tun.

Stellt sich da Verbitterung ein? "Nein, ich bin ein skeptischer Optimist." Die Geschichte verlaufe wie eine nach oben gehende Spirale: "Es wiederholen sich dieselben Fehler, aber auf einem höheren Level. Wir sind bloß ungeduldig in unseren kurzen 80 Jahren."

Und wie hält Kramar es mit der eigenen Endlichkeit? "Der Tod ist für mich keine Grenze, sondern ein energetischer Umwandlungsprozess. Ich habe Sterbebegleitung gemacht. Die Leute, die loslassen konnten, sind gut gestorben. Andere waren verkrampft, mit Angst. Da hab ich mir gedacht, du musst im Leben eines lernen: loslassen." (Stefan Weiss, Michael Wurmitzer, 18.3.2018)