Pensionistenverbandschef Kostelka: "Die Regierung tut was – und überlegt hinterher."

Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Müssen sich die jungen Menschen vor Ihnen fürchten, Herr Kostelka?

Kostelka: Gott sei Dank fürchten sich junge Menschen in Zeiten wie diesen nicht – und ich gebe keinen Grund dazu.

STANDARD: Seniorenlobbyisten eilt aber der Ruf voraus, jede Pensionsreform zu verhindern – weshalb das System für die Jungen wegen der Alterung der Gesellschaft einmal nichts mehr abwerfen werde.

Kostelka: Das ist nichts als ein Vorurteil. Als Seniorenvertreter wären wir kurzsichtig, würden wir uns nur für die Pensionen der eigenen Generation einsetzen. Außerdem lässt sich dieser Vorwurf mit Tatsachen widerlegen: Immer wieder gibt es Pensionsreformen, seit 2009 wurden dadurch insgesamt 7,5 Milliarden Euro eingespart. Bis 2020 werden es zehn Milliarden sein ...

STANDARD: ... von Jahr zu Jahr zusammengerechnet im Vergleich zu den bisherigen Prognosen, was auch mit dem stärkeren Anstieg der Beschäftigung zusammenhängt.

Kostelka: Nehmen wir die langfristigen Prognosen her: Laut Aging-Report der EU werden Österreichs Ausgaben für die Pensionen von derzeit 14 Prozent des Bruttoinlandsproduktes bis 2040 auf knapp 15 Prozent steigen, um bis 2070 wieder auf 14,3 Prozent zu sinken. Zugegeben, das ist ein weiter Blick in die Zukunft, aber die Botschaft ist eindeutig: Wenn wir wollen, sind die Pensionen finanzierbar. Man darf nicht auf all die Horrorszenarien hineinfallen.

STANDARD: Das Finanzministerium weist bis 2022 einen Anstieg um vier Milliarden aus. Beängstigt Sie das nicht?

Kostelka: Keineswegs. Die Regierung setzt diese Zahl taktisch weit überhöht an – damit sie sich hinterher für jede Million rühmen kann, um die sie besser liegt.

STANDARD: Dass die Kosten bewältigbar erscheinen, liegt nicht zuletzt an der Pensionsreform der ersten schwarz-blauen Regierung vor 15 Jahren. In der Zeit davor, als Sie Spitzenpolitiker waren, haben rot-schwarze Koalitionen das Thema hingegen hinausgeschoben. Denkt die SPÖ nicht traditionell vor allem an ihre ältere Klientel?

Kostelka: Das klingt sehr nach der Message-Control, wie sie ÖVP und FPÖ betreiben. Wir haben in den späten 90er-Jahren genauso eine Pensionsreform durchgeführt – auch wenn die neue Regierung jetzt so tut, als ob erst sie kommen musste, damit etwas passiert.

STANDARD: Die Koalition macht ja eh keine Anstalten, Pensionisten zur Kasse zu bitten.

Kostelka: Immerhin ist die Rede von einer "Evaluierung" der Hinterbliebenenpensionen, von einer "Überprüfung" der Selbstbehalte im Gesundheitssystem und so weiter. Bei einer Koalition, die nur in Frohbotschaften zu sprechen versucht, heißt es bei derartigen Begriffen, wachsam zu sein. Mein Eindruck ist: Der Regierung fehlt der soziale Blickwinkel, sie sieht in Pensionisten nur Kosten.

STANDARD: Die Anhebung der Ausgleichszulage, einer Art Mindestpension, zählt nicht?

Kostelka: Da zeigt sich ja gerade eines der Probleme: Die Regierung tut was – und überlegt hinterher. Sie erhöht die Ausgleichszulage für jene auf 1200 Euro, die 40 Jahre eingezahlt haben, und kommt dann drauf, dass Frauen mit ihren Kindererziehungszeiten das kaum erreichen. Künftig wird es auch immer mehr Männern so gehen, zumal ein Drittel der Arbeitnehmer im Laufe eines Jahres kündigt oder gekündigt wird. Mit diesen Unterbrechungen gehen sich die 40 Jahre nicht aus. Viel klüger wäre, die Kindererziehungszeiten anzurechnen oder eben die Mindestpension generell anzuheben.

STANDARD: Was fordern Sie von der Politik?

Kostelka: Nicht mehr und nicht weniger als einen fairen Anteil am Wohlstand für die Pensionisten. Was zum Beispiel nicht ausreicht: Die Regierung rühmt sich, das Pflegegeld ab Stufe vier anheben zu wollen, sagt aber nicht dazu, dass dabei zwei Drittel der Bezieher durch die Finger schauen – und das, obwohl das Pflegegeld wegen der Inflation heute nur mehr 62 Prozent von dem wert ist, was es bei der Einführung 1993 wert war.

STANDARD: Das hätte die SPÖ, solange sie regiert hat, doch längst verbessern können ...

Kostelka: ... was ohne die Zustimmung der ÖVP aber nicht ging.

STANDARD: Sie gelten als politischer Ziehvater von Christian Kern ...

Kostelka: ... dass ich ihn, als ich Klubchef der SPÖ war, damals in mein Team geholt habe, war nicht meine schlechteste Entscheidung, wie man heute sieht.

STANDARD: Wie konnte es passieren, dass Kern den Kanzler verspielt?

Kostelka: In ganz Europa geht der Trend nun einmal nach rechts bis rechts außen. Doch das ist nur eine Momentaufnahme, das Pendel wird wieder in die Gegenrichtung ausschlagen. Das gilt gerade für Österreich, wenn deutlich wird, dass vieles in dieser Politik nur auf Fassadendekoration hinausläuft. Ein Kopftuchverbot für Zehnjährige etwa löst kein einziges Integrationsproblem.

STANDARD: Ihre Erklärung klingt nach einem gottgegebenen Schicksal.

Kostelka: Natürlich war der Wahlkampf nicht optimal, und Christian Kern ist auch bewusst, dass sich die Partei öffnen muss: Wir müssen Partner finden, die – wie es Bruno Kreisky formuliert hat – ein Stück des Weges mit uns gehen. Die SPÖ braucht mehr Liberalität und Offenheit, ein Amalgam aus Neuem und Erprobtem.

STANDARD: Das heißt es aber auch schon lange. Warum ist Kern trotz der Niederlage noch der Richtige?

Kostelka: Weil er der intelligenteste und artikulationsstärkste Politiker der SPÖ ist – und in die Oppositionsrolle hineingefunden hat.

STANDARD: Warum wollen Sie eigentlich selbst noch mitmischen? Mit 71 könnten Sie eine ruhige Kugel schieben.

Kostelka: In zwölf Jahren als Volksanwalt habe ich mir all die Probleme von Betroffenen angehört. In Pension zu sein bedeutet nicht, auf Sinnvolles verzichten zu müssen. Dafür stellt uns die Regierung einfach zu viele Ruten ins Fenster.

STANDARD: Wie haben Sie sich mit dem politischen Virus angesteckt?

Kostelka: Mit 15 Jahren im Verband der sozialistischen Mittelschüler. Die heftigen Diskussionen über die Probleme der Zeit haben mich elektrisiert.

STANDARD: ... wobei eine über den Vietnamkrieg in Ihrer Zeit bei den sozialistischen Studenten offenbar eskaliert ist. Wie das, wo Sie doch stets so kontrolliert auftreten?

Kostelka: Das lag auch nicht an mir. Als Vizeobmann des Verbandes der sozialistischen Studenten in Wien hatte ich mit dem damaligen Unirektor ausgemacht, dass das Neue Institutsgebäude, wo die Vietnamdebatte stattfand, am Abend auch wieder geräumt wird. Doch manche von uns haben die große Revolution ausgerufen, nach dem Motto: Wenn wir einmal drinnen sind, bleiben wir auch dort. Das war nicht mein Verständnis von Pacta sunt servanda, also bin ich zurückgetreten. Vereinbarungen sind einzuhalten.

STANDARD: Wie nehmen Sie das politische Geschäft von heute im Vergleich zu früher wahr?

Kostelka: Die Politik ist ungleich schneller geworden. Ich will nicht in ein Früher-war-alles-besser verfallen, aber: Den Gedanken fehlt die Zeit, zu reifen. Dass ein Vizekanzler etwas fordert, was es längst schon gibt, und zwar eine Mindestpension von 1000 Euro nach 30 Beitragsjahren – das hätte es früher wohl nicht gegeben. (INTERVIEW: Gerald John, 21.4.2018)