Die Empörung ist groß. Österreichische UN-Soldaten hätten 2012 syrische Geheimpolizisten absichtlich in den Tod geschickt. Das Urteil ist gefällt, bevor die Akte überhaupt geöffnet wurde. So klar scheint der Fall. Doch ist das so?

Stop. Rewind. Beginnen wir noch mal am Anfang. Ein dem "Falter" zugespieltes Video zeigt einen schrecklichen Vorfall auf dem Golan. Syrische Geheimpolizisten seien in einen Hinterhalt von kriminellen Schmugglern geraten, so beschreibt es das Wochenblatt. Dabei seien neun Syrer getötet worden, die zuvor einen Kontrollposten österreichischer UN-Soldaten passiert hätten – und von diesen nicht gewarnt worden seien.

Wer genau hinsieht, wird feststellen, dass diese Geschichte auf zwei Annahmen beruht. Zum einen: Die Angreifer waren kriminelle Schmuggler. Zum anderen: Die Österreicher haben die Geheimpolizisten vor diesen Kriminellen nicht gewarnt. Warum ist das wichtig? Nehmen wir an, die Österreicher hätten vor Kriminellen gewarnt. Es gäbe keinen Vorwurf. Und jetzt nehmen wir an, sie hätten nicht gewarnt, es wären jedoch keine Schmuggler sondern Rebellen gewesen. Könnte jemand den Soldaten vorwerfen, wenn sie dem Regime und seinen Gegnern im syrischen Krieg nicht ihre jeweiligen Positionen verraten? Nein, niemand.

Zwei Annahmen

Wer nun im Video nach Belegen für diese beiden Annahmen sucht, wird erstaunlicherweise nichts finden. Es sind bewaffnete Männer zu sehen, die in felsigem Gelände in Stellung gehen. Doch es ist nicht ersichtlich, dass es sich um Schmuggler handelt. Bewaffnung, Art und Ziel des Angriffs sprechen vielmehr für kampferprobte Rebellen. Genauso wenig findet man eine Antwort auf die Frage, ob es eine Warnung gab. Bilder der Situation gibt es nicht. Lediglich Stimmen. Eine sagt, dass man es den Syrern sagen müsste. "Hob i eh g'sogt", antwortet eine andere. Ein Beweis für eine unterlassene Warnung sieht anders aus. Die Empörung beruht somit auf zwei Annahmen, für die es keine Belege gibt.

Trotzdem ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Mordes durch Unterlassung. Denn, wenn die Österreicher die Syrer gewarnt hätten, gäbe es keine Toten. So die den Vorwürfen zugrundeliegende These. Eine absurde These in einem Krieg. Wenn sie nicht warnen, sind die einen tot. Wenn sie warnen, sind die anderen tot. Wer dieses moralische Dilemma aufzulösen vermag, werfe den ersten Stein. Und so kann es nun mal keine Rechtspflicht geben, in einem Krieg die eine Partei vor der anderen zu warnen. Auch nicht für UN-Soldaten, die mit lediglich 30 Schuss Munition und ohne kugelsichere Westen verantwortungslos einer lebensgefährlichen Situation ausgesetzt wurden.

Wie in den vergangenen Tagen Kommentatoren von ihrem sicheren Schreibtisch aus österreichische Soldaten öffentlich an den Pranger gestellt und aufgrund unbelegter Behauptungen des Mordes bezichtigt haben, ist juristisch und moralisch tiefstes Mittelalter und hat mit einem Rechtsstaat nichts zu tun. (Rainer Hable, 2.5.2018)