"Wenn ein UN-Soldat im Sarg am Flughafen abzuholen gewesen wäre – welche Verantwortlichkeit hätte man da wohl vom Minister eingefordert?": Klug zur einst umstrittenen Entscheidung, die Blauhelme heimzuholen.

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Nach knapp vierzig Jahren als Truppensteller verkündete Gerald Klug als Verteidigungsminister Mitte 2013 den Abzug des heimischen UN-Kontingents vom Golan. Auf die STANDARD-Frage, ob er davon gewusst habe, dass das umstrittene Video österreichischer UN-Blauhelme von der dortigen Schießerei im September 2012, bei der neun syrische Geheimpolizisten in einen tödlichen Hinterhalt gerieten, in seiner Amtszeit womöglich zur Einsatzvorbereitung verwendet wurde, sagt Klug im Interview: "Nein." Auch davon habe er "erst jetzt aus den Medien" erfahren.

Wie er selbst am 29. September 2012 auf der UN-Position Hermon Süd gehandelt hätte, bevor es zu dem Blutbad kam? Darauf antwortet Klug auch mit Kritik an der aktuellen Debatte, ob die heimischen Blauhelme die Syrer mit ihrem Pick-up womöglich in den sicheren Tod fahren haben lassen: "Diese Arroganz vom Schreibtisch aus, darauf jetzt eine eindeutige Antwort zu geben, besitze ich nicht!" (red)

STANDARD: Als Verteidigungsminister gingen Sie als jener Mann in die Geschichte ein, der Österreichs UN-Truppe nach knapp vier Jahrzehnten von den Golanhöhen abziehen ließ. Angesichts der nun publik gewordenen Videoaufzeichnungen von heimischen Blauhelmen rund um das Massaker im September 2012: Fühlen Sie sich im Nachhinein bestätigt?

Klug: Man braucht doch nur den Fernseher aufzudrehen – und schon sieht man seit Jahren täglich neue Bilder aus dem syrischen Bürgerkrieg. Daher bin ich der Meinung, dass auch die Lage am Golan nach wie vor unbeherrschbar ist.

STANDARD: Der Vorfall, bei dem österreichische UN-Soldaten neun syrische Geheimpolizisten in einen tödlichen Hinterhalt haben fahren lassen, ereignete sich in der Amtszeit Ihres Vorgängers Norbert Darabos (SPÖ). Danach soll aber das Video der Soldaten zur Einsatzvorbereitung vorgezeigt worden sein – haben Sie davon gewusst?

Klug: Nein. Auch davon habe ich erst jetzt aus den Medien erfahren.

STANDARD: Acht Monate nach der Schießerei haben Sie die UN-Truppe wegen ständiger innersyrischer Gefechte in der Pufferzone zwischen Syrien und Israel nach Hause beordert. Warum informierten Sie damals nicht eindringlicher darüber, was sich dort alles abspielt?

Klug: Aus sicherheitsrelevanten Überlegungen wollten wir den Ball flach halten – um angesichts der Lage unsere UN-Soldaten vor Ort nicht zusätzlich zu gefährden. Natürlich brachte mir die zurückhaltende Kommunikation keinerlei Vorteile.

STANDARD: Gab es in der rot-schwarzen Koalition Dissonanzen, ob man abziehen oder bleiben soll?

Klug: Zu keinem Zeitpunkt hat es darüber eine Streiterei gegeben – im Gegenteil. Die Regierungsspitze unter Kanzler Werner Faymann (SPÖ) sowie Vizekanzler und Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP) war in der Frage eng abgestimmt – und als Ressortminister habe ich in Absprache mit dem Generalstab den Vorschlag vorgelegt, der lautete: "Ich empfehle den geordneten Abzug." Das war und ist aus meiner Sicht bis heute die einzig richtige Entscheidung.

STANDARD: Haben Sie sich davor bei den Vereinten Nationen noch nachdrücklich um ein stärkeres UN-Mandat und eine bessere Ausrüstung für die Blauhelme bemüht?

Klug: Selbstverständlich haben wir da alle Kanäle des Verteidigungsministeriums in Richtung Uno genutzt, genauso wie das Außenministerium. Doch für ein robusteres Mandat hätten die fünf ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat zustimmen müssen – plus Israel und Syrien!

STANDARD: Also die USA, Russland, China, Frankreich, Großbritannien.

Klug: Genau. Doch das muss man auch einmal zu Ende denken. Wichtig wäre auf alle Fälle eine robustere Ausrüstung für unsere Soldaten gewesen. Außerdem frage ich mich: Ist die Uno bei Bürgerkriegsgefechten tatsächlich der richtige Adressat?

STANDARD: Am Balkan hilft das Bundesheer bis heute mit, dass vormalige Bürgerkriegsparteien nicht mehr aneinandergeraten.

Klug: Die Missionen am Balkan möchte ich auch gar nicht hinterfragen, denn das ist keinesfalls mit der Entwicklung im Nahen Osten und auch nicht mit dem Verhältnis zwischen Syrien und Israel vergleichbar.

STANDARD: Ein Hinweisgeber hat erzählt, dass auf dem Golan sogar die Versorgung von Verwundeten problembehaftet war – weil jede Hilfe für Rebellen, aber auch für syrische Soldaten als Einmischung gewertet werden konnte, sodass die UN-Truppe erneut unter Beschuss geraten konnte. Können Sie das bestätigen?

Klug: In dieser Form war mir das nicht bekannt. Ich kann nur sagen: Das Mandat war der absoluten Neutralität unterworfen – was unterm Strich leichtes Peacekeeping bedeutet, also Beobachten und Melden. Und ich sage noch einmal: Mit dem Bürgerkrieg war dem Mandat die Grundlage entzogen, das sich ausschließlich auf die Überwachung des Waffenstillstandes zwischen Syrien und Israel konzentrieren sollte.

STANDARD: Hätte schon Darabos die UN-Soldaten heimholen sollen?

Klug: Er hat zu Recht alles unternommen, um diese Mission aufrechterhalten zu können.

STANDARD: Ihnen wurde vorgeworfen, just vor der Nationalratswahl auf den Abzug zu drängen.

Klug: Für derartige Plattitüden habe ich keinerlei Verständnis. Wenn ich auf Basis der Lageberichte nicht diese Entscheidung getroffen hätte, und es wäre dann ein österreichischer UN-Soldat im Sarg am Flughafen Wien-Schwechat abzuholen gewesen, dann frage ich: Welche Verantwortlichkeit hätte man da wohl vom Verteidigungsminister eingefordert? Deswegen haben wir davor ja sogar noch gepanzerte Fahrzeuge geliefert, die dann Schwierigkeiten gehabt haben, in die Pufferzone vorzudringen.

STANDARD: Wie hätten Sie am 29. September 2012 auf der UN-Position Hermon-Süd gehandelt, bevor es zu dem Blutbad kam?

Klug: Dazu sage ich Ihnen ganz direkt: Diese Arroganz, vom Schreibtisch aus darauf jetzt eine eindeutige Antwort zu geben, besitze ich nicht. Bildlich ziehe ich jedenfalls den Hut vor allen Soldaten, die sich für Auslandsmissionen melden. Denn alle wissen zum Zeitpunkt der Kontingentsverabschiedung, dass sie sich auf gefährliche Einsätze begeben. Da kann man nur dreimal Danke sagen. (Nina Weißensteiner, 4.5.2018)