"Diktatur kann man nicht ein bisserl kriegen", und das Leben unter ihr sei fürchterlich, denn "denn da kommt das Böse und das Widerwärtige, das in uns lebt, an die Oberfläche", sagte Arik Brauer

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Wien – Mit einem Festakt im Bundeskanzleramt und dem "Fest der Freude" auf dem Wiener Heldenplatz gedachte Österreich am Dienstag der Befreiung vom Nationalsozialismus und der Beendigung des Zweiten Weltkriegs in Europa. Am 8. Mai 1945 hatte die deutsche Wehrmacht bedingungslos kapituliert. Seit 2013 spielen die Wiener Symphoniker aus diesem Anlass alljährlich ein Gratiskonzert.

Bei der Veranstaltung am Vormittag plädierte Festredner Arik Brauer dafür, die "zarte Pflanze" Demokratie zu pflegen. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sprach von einem Tag der Freude, Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) erinnerte an Leid nach der Befreiung, beide warnten vor neuem Antisemitismus.

Brauer erinnert sich an Sieg, aber auch Vergewaltigungen

Arik Brauer selbst berichtete von seiner Verzückung angesichts des von ihm erlebten Einmarschs der russischen Truppen. "Für mich war es selbstverständlich eine Befreiung, für mich war es selbstverständlich ein Sieg. Nicht so für die Bevölkerung." Zerstörte Wohnungen, gefallene Kinder und Ehemänner, vergewaltigte Töchter seien die Realität gewesen.

"Bin ich erlöst? Bin ich befreit? Natürlich nicht", gab der Holocaust-Überlebende die damalige Stimmung im Land wieder. Es sei den meisten Menschen schier unmöglich gewesen, die Situation so einzuschätzen. "Die Menschen hatten das Gefühl, wir haben den Krieg verloren, so, jetzt haben wir den Scherm auf."

Erfolgreich etablierte Demokratie

Es musste eine neue Generation heranwachsen, so Brauer: "Und ich bin sicher, dass heute in Österreich die überwältigende Mehrheit der Menschen durchaus imstande ist, die Situation und die Wahrheit von der Zeit des Zweiten Weltkriegs richtig einzuschätzen". Gesiegt habe damals "das allgemeine menschliche Bedürfnis, in Frieden und möglichst großer Freiheit zu leben".

Gewonnen habe letzten Endes auch die Demokratie über die Diktatur. "Die Demokratie ist eine zarte Pflanze, das wissen wir, und man muss sie ununterbrochen pflegen und gießen." Unterschiedliche Interessen, Denkweisen und Gefühle der Bevölkerung machten all das sehr kompliziert, gehe vielen auf die Nerven und lasse teils auch den Wunsch nach einer starken Hand laut werden. Jedoch: "Diktatur kann man nicht ein bisserl kriegen", und das Leben unter ihr sei fürchterlich, denn "denn da kommt das Böse und das Widerwärtige, das in uns lebt, an die Oberfläche".

Kurz sieht Verantwortung

"Es ist ein Tag der Freude. Es ist aber auch ein Tag, an dem wir uns unserer Verantwortung stellen müssen", sagte Kurz. Österreich habe lange gebraucht, um sich mit seiner Vergangenheit kritisch auseinanderzusetzen. "Über 100.000 Österreicherinnen und Österreicher wurden vertrieben, nachdem man sie zuvor beraubt, gedemütigt und in unserem Land misshandelt hatte", sagte er. Nur ganz wenige seien zurückgeholt worden, "denn beraubt, gedemütigt und misshandelt waren sie in unserem Land nicht mehr willkommen."

Auch Strache betonte, dass man das Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft als Fest der Freude feiere und zurecht stolz auf Österreich sein könne. "Auf der anderen Seite hat es natürlich auch zwei Gesichter dieser Befreiung gegeben, weil es natürlich auch danach noch viel Leid gegeben hat", so der FPÖ-Obmann.

Beim "Fest der Freude", veranstaltet unter anderem von Mauthausen-Komitee und Israelitischer Kultusgemeinde, ist kein FPÖ-Repräsentant am Wort. (APA, 8.5.2018)