Ein Abakus allein wird zur Vorbereitung auf die Mathe-Matura nicht wirklich geholfen haben.

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Manch ein Leser des STANDARD-Artikels "Zwei Zwischenfälle bei der Mathematik-Zentralmatura" wollte seine Ratlosigkeit angesichts der von uns verlinkten Aufgaben nicht verbergen: "Jedes Mal, wenn ich mathematische Aufgaben aus der Oberstufe vor mir habe, frage ich mich, wie ich das jemals beherrscht habe", schrieb zum Beispiel Murmelentenmausefüßer.

Und auf die allseits beliebten Fragen wie "Wozu eigentlich Mathematik?", man habe das trotz Studiums doch nie wirklich gebraucht, oder "Hat Mathe als Hauptfach Sinn?" entgegnete Unhold L.: "Mathe brauchst in der Politologie oder Ernährungswissenschaft genauso wie in der Mikrobiologe oder Geoinformatik. Warum soll man ausgerechnet den gemeinsamen Nenner der meisten akademischen Disziplinen streichen?"

Elf verschiedene Matura-Varianten

Die Zentralmatura Mathematik, die am Mittwoch in ganz Österreich abgehalten wurde, ist ein umstrittenes Thema. Das Kandidatenfeld teilte sich in jeweils 19.000 AHS- und BHS-Schüler auf, dazu traten knapp 5.000 bei der Berufsreifeprüfung an. Zwischen den Schularten gibt es grundlegende Unterschiede in der Mathematik-Matura, sowohl bei den Aufgaben als auch bei den Bewertungsschemata. Innerhalb der AHS ist die Mathematik-Matura einheitlich, an den BHS hingegen gibt es neben einem gemeinsamen schulformenübergreifenden Teil auch einen, der je nach Schultyp unterschiedlich ist.

Insgesamt gibt es in der Mathematik elf Reifeprüfungsvarianten: neben der einheitlichen in den AHS zehn im Schultyp BHS – sechs für die unterschiedlichen HTL-Formen und je eine für Handelsakademien (Hak), humanberufliche Schulen (Hum), Bildungsanstalten für Kindergarten- beziehungsweise Sozialpädagogik (Bakip bzw. Basop) und für höhere Schulen für Land- und Forstwirtschaft (HLFS).

Panne in Floridsdorf

Bisher sind eine Panne und ein aufgeflogenes Schummeln bekannt geworden: An einem Wiener Gymnasium (1210, Ödenburger Straße) beendete der Lehrer die Prüfung statt nach 270 Minuten (also 4,5 Stunden) bereits nach 3,5 Stunden, nämlich um 12.20 Uhr. Erst nach der vorzeitigen Beendigung wurde der Fehler von sieben Schülerinnen und Schülern, die den Prüfungsraum bereits verlassen hatten, bemerkt. Sie durften danach weitermachen. Andere machten keinen Gebrauch davon, die Arbeit nach der Zwangspause fortzusetzen.

Und einige Schüler hatten wohl schon vor 12.20 Uhr abgegeben, weil sie keines der komplexen Beispiele mehr lösen zu können glaubten. Peter Simon, der im Bildungsministerium für die Koordination und Qualitätssicherung der Aufgaben zuständig ist, gestand im Gespräch mit dem STANDARD ein, es handle sich um einen unangenehmen Zwischenfall. Ein Schüler in Graz wurde, wie berichtet, beim Schummeln mit einem Smartphone erwischt: Er hatte seinem Nachhilfelehrer Aufgaben geschickt und Antworten erhalten.

In einer ersten Reaktion waren viele BHS-Schüler, die in Angewandter Mathematik geprüft wurden, eher verzweifelt. Manche sagten, dass es mit entsprechendem Lernaufwand schaffbar war. Bundesschulsprecher Harald Zierfuß bestätigte, dass die Aufgaben an der BHS deutlich schwieriger als vergangenes Jahr ausgefallen seien. Bezüglich der AHS-Aufgaben meinte er: "Im Großen und Ganzen okay, vielleicht einen Tick schwieriger als im Vorjahr."

AHS-Matura "überraschungsarm"

Wie beurteilen Lehrer die Aufgaben? "Hie und da war das eine oder andere der 24 Beispiele in Teil 1 vielleicht leichter als erwartet; dafür wurden im Gegenzug manche Themen auf eine gewisse Art abgefragt, die im ersten Moment als neu und überraschend aufgefasst werden könnte", schreibt Rainer Saurugg, Nachhilfepädagoge und Blogger für den STANDARD. Er hat sich die AHS-Fragen genauer angesehen. Zwei Drittel der 24 Beispiele seien "Routine" und eher "überraschungsarm", schreibt er. "Eine entsprechende Vorbereitung war also gut möglich. Ein Drittel stufe ich als interessant bzw. herausfordernd ein, da es sich um einen eher neuen Zugang oder Blickwinkel handelt." Die Beispiele ließen sich aber insgesamt mit "mathematischem Hausverstand nach zwölf Schuljahren" gut lösen.

Lob und Kritik von Mathematiker der TU Wien

Bleibt die Frage offen, ob der mathematische Hausverstand allerorts wirklich gefördert wird. Der Mathematiker Michael Drmota, Dekan der Fakultät für Mathematik und Geodäsie der Technischen Universität Wien, ist grundsätzlich ein Freund der Zentralmatura, sagt er im Gespräch mit dem STANDARD, "weil sie eine Vergleichbarkeit sicherstellt und, viel wesentlicher noch, neben – absolut notwendigen – Rechenfertigkeiten und dem textuellen Erfassen auf grundsätzliches Verständnis mathematischer Zusammenhänge und Begriffsbildungen abzielt". Kritik übt er an der "hinterfragenswerten Kompetenzenorientierung, der teilweise überbordenden Textlastigkeit der sogenannten Typ-2-Beispiele" oder daran, "dass manche Prüfungsbeispiele nicht genau oder korrekt genug formuliert sind".

Drmota berichtet von Lücken am Beginn des Studiums. "Tatsächlich beobachten wir an den technischen Universitäten ein stetes Absinken der mathematischen Kenntnisse und Fähigkeiten von Studienanfängern. Die Zentralmatura ist sicher nicht Ursache dieser Entwicklung, aber sie zeigt recht deutlich auf, wo es an den Schulen Defizite in der Ausbildung gibt." (Klaus Taschwer, Peter Illetschko, 10.5.2018)