In der Meierei im Wiener Volksgarten räsonieren Grünen-Chef Werner Kogler und der neue grüne Innsbrucker Bürgermeister Georg Willi über den Zustand der Partei, aber auch den von der Liste Pilz. "Wir würden wirklich eine gescheite Opposition im Parlament brauchen – und die kann ich so nicht erkennen", sagt Kogler im STANDARD-Gespräch. Willi wiederum spricht frühere Fehler der Grünen selbst an: "Die Leute meinen, dass wir unbedingt das Binnen-I durchsetzen wollen, dabei geht es uns doch zuvorderst um die gleichen Rechte für Männer und Frauen. Nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis."

Ebenfalls Thema zwischen den beiden: Sigi Maurers Kampf gegen obszöne Privatnachrichten. Dazu sagt Kogler: "Ich halte es für legitim, dass diese Waffe, die seit Jahren massiv mit Beschimpfungen und Belästigungen gegen Frauen eingesetzt wird, sich auch einmal gegen die Urheber selbst richtet."

STANDARD: Sie sind beide weit über fünfzig. Sitzt uns hier tatsächlich die Zukunft der Grünen gegenüber?

Willi: Ich kenne alte Junge und junge Alte. Vor allem kommt es doch auf das Alter im Kopf an – und da sind wir beide noch ziemlich fit.

STANDARD: Als Innsbrucker Bürgermeister gelten Sie mit dem Ex-Grünen Alexander Van der Bellen, nun Bundespräsident, seit kurzem als Vorzeigemodell, wie man trotz der misslichen grünen Lage Wahlen gewinnen kann. Braucht es dafür vom Typus her generell eher ruhige statt aufgeregte Oppositionelle?

Willi: Nicht unbedingt. Aber verbindliches, authentisches Auftreten ist sicher von Vorteil. Wir leben in Zeiten, in denen die Personen wichtiger sind als der geistige Unterbau einer Partei, leider! Und auch von Vorteil: ein einfacher, merkbarer Name. Willi ist einfach, Kurz ist einfach – und deswegen ist ja VdB erfunden worden, weil Van der Bellen schon zu lang ist.

Kogler: Ob man ein ruhiger oder unruhiger Geist ist, ist sicher nicht die richtige Kategorie für Wahlerfolge. Denn bei vielem, was die Regierung macht, muss man unruhig werden. Die Frage ist daher, welche Wahlen gerade anstehen und wie sehr man dort aufdreht. Das Rennen um die Hofburg und das Innsbrucker Bürgermeisteramt waren ja Persönlichkeitswahlen. Für die Grünen bleibt aber eine gewisse Unruhe, kombiniert mit seriöser Kritik, als Triebfeder unerlässlich.

Bei Sigi Maurers Kampf gegen obszöne Nachrichten scheiden sich die Geister: "Da unterscheide ich mich von Willi!", hält Grünen-Chef Werner Kogler (links) fest.
Foto: Hendrich

STANDARD: Vor allem auch für die neuen, jüngeren Semester?

Kogler: Dass die einen Platz kriegen sollen, ist das eine, und da werden wir auch liefern – umgekehrt gilt aber auch, dass die Jungen liefern sollten. Denn es muss erkennbar sein, dass sie grünes Herzblut haben und dadurch angetrieben werden – nach Steve Jobs Motto "Bleibt hungrig, bleibt unangepasst!"

STANDARD: Sie haben in Innsbruck auch mit dem legendären Satz gewonnen, dass die Leut' weniger das Binnen-I interessiert, sondern eher wie sie ihre hohen Mieten zahlen sollen. Hat Grün zu lange auf Themen gesetzt, mit denen man höchstens einen Blumentopf gewinnen kann?

Willi: Das war eine meiner Aussagen, die ich aber nun besser formulieren will: Der Fehler unsererseits war, zu wenig all die Probleme hinter dem Binnen-I als Symbol für die angestrebte Gleichbehandlung zu betonen. Die Leute meinen, dass wir unbedingt das Binnen-I durchsetzen wollen, dabei geht es uns doch zuvorderst um die gleichen Rechte für Männer und Frauen. Nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis: bei den Gehältern, bei den Spitzenjobs und, und, und.

STANDARD: Die grüne Ex-Abgeordnete Sigi Maurer hat unlängst einen Bierladenbetreiber wegen verbaler sexueller Erniedrigungen via Privatnachrichten geoutet. Recht so – oder eine überschießende Vorgangsweise?

Willi: Fest steht, dass sich Männer oft gar nicht vorstellen können, was Frauen da alles passiert. Die offene Frage für mich lautet: Streite ich das vor Gericht aus? Oder hole ich mir den Typen vorher her und rede mit ihm, dass der das nie wieder tut? Das wäre mein Weg, aber ich tu' mir da vielleicht leichter, weil ich ein Mann bin. Das Arge ist auch, dass viele Männer, die an den Schalthebeln der Macht sitzen, die belästigten Frauen mit dem Phänomen alleinlassen. Für eine Sigi Maurer ist der Weg des Publikmachens jedenfalls absolut stimmig und auch richtig. Wir müssen daher den Pionierinnen in dieser Angelegenheit sehr dankbar sein, dass sie das durchfechten.

STANDARD: Werden die Grünen als Partei dem Frauenhass im Netz weiterhin so vehement entgegentreten? Bisher war das ja vor allem Eva Glawischnigs Kampf, die viele Klagen erfolgreich durchgefochten hat, aber jetzt bei Novomatic ist.

Kogler: Natürlich. Denn jetzt kann man oder frau das auch einmal umdrehen und das Netz für das Publikmachen von Belästigungen nutzen, wie Sigi Maurer das getan hat. Da ist der Mann an den Pranger gestellt worden, so kann man das auch machen. Ob das rechtlich zulässig ist oder nicht, wird der Ausgang der Privatanklage des Bierlokalbetreibers zeigen. Ich halte es jedenfalls für legitim, dass diese Waffe, die seit Jahren massiv mit Beschimpfungen und Belästigungen gegen Frauen eingesetzt wird, sich auch einmal gegen die Urheber selbst richtet – und da unterscheide ich mich vom Georg Willi!

STANDARD: Statt der Grünen sitzt jetzt die Liste Pilz im Nationalrat. Wie geht es Ihnen damit, was Ihr langjähriger Parteifreund, dem Sie beide ja auch persönlich verbunden waren, und seine Liste derzeit aufführen?

Willi: Ich habe mit Peter Pilz immer gut können. Für mich ist er ein tragischer Held. Er hat die Grünen mitbegründet, hat unheimlich viel dazu beigetragen, dass sie dort hingekommen sind, wo wir waren. Er hat dann, weil er verletzt war in seinem Stolz, diesen Schritt einer eigenen Liste gesetzt. Jetzt ist er ramponiert, sein Ruf ist nicht wahnsinnig gut, es dreht sich alles um Posten und Geld. Er ist dabei, sein Lebenswerk ein bissl zu zerstören.

STANDARD: Nur ein bissl?

Willi: Ja, ein bissl. In zehn Jahren wird man das anders sehen. Die Geschichte wird dann alles ins richtige Verhältnis rücken. Derzeit ist Peter Pilz selbst mit dem Pickel dabei, sein Monument abzutragen. Ganz überraschend ist das ja nicht. Als er den Schritt mit der Liste getan hat, haben bei uns viele gesagt: "Wartet's nur, das kann nicht gutgehen, weil er als Person super ist, aber er ist keiner, der eine Gruppe anführen kann." Wenn ich führe, muss ich oft zugunsten der Gruppe zurückstehen – und das war auch eine der Stärken der Eva Glawischnig.

Kogler: Ich hätte es für gescheit gefunden, wenn es diese Abspaltung von Peter Pilz nicht gegeben hätte. Es hat ja nicht wenige bei uns gegeben, die sich bemüht haben, dass wir zusammenbleiben. Aber viele Delegierte hatten schon auch Kenntnis und Ahnung von den Eigenschaften, die Peter Pilz halt ausmachen, während seine Arbeit hingegen total wichtig war. Ich finde es schade, was bei dieser Liste jetzt passiert. Denn wir würden wirklich eine gescheite Opposition im Parlament brauchen – und die kann ich so nicht erkennen.

"Ich habe mit Peter Pilz immer gut können. Für mich ist er ein tragischer Held", sagt Georg Willi (rechts).
Foto: Hendrich

STANDARD: Sind die Streitereien bloß Kinderkrankheiten wie in den Anfangsjahren der Grünen, wie Pilz und Klubchef Wolfgang Zinggl gern behaupten?

Kogler: Das kann man mit der Liste Pilz nicht vergleichen, das würde den Grünen nicht gerecht werden. Die Grünen fanden sich aus der Umwelt-, der Friedens, der Anti-Atom-, der Frauenbewegung, aus den Bürgerinitiativen zusammen. Und wenn mehrere Züge in den Bahnhof einfahren, um dort rangiert zu werden, um mit einem grünen Express rauszufahren, tuscht's halt manchmal. Beim Pilz streiten höchstens ein paar Leute in einem kleinen Abteil um die Sitzplätze. Das ist jedenfalls ein Schaden für das Parlament. Dabei gibt es bei der Liste Frauen, die durchaus etwas entwickeln können, aber im Augenblick stehen sich dort alle selbst im Weg.

STANDARD: Schaden die jüngsten Karrieren früherer Grüner wie Pilz und Glawischnig beim Neustart der Partei?

Willi: Ich denke, mittlerweile beginnt man bei jeder Wahl quasi bei Null. Das wurde mir bei Sebastian Kurz' Wahlsieg klar, der innerhalb weniger Monate eine ziemlich tantenhafte Partei wie die ÖVP auf jung getrimmt hat. Bedeutet: Auch wir müssen uns jede Wählerstimme neu erarbeiten – und dafür müssen die Konzepte, das Programm und die Personen stimmen.

STANDARD: Pilz geriet zuletzt in die Kritik, weil er auch ohne Mandat ein Gehalt in der Höhe eines Abgeordneten bezogen hat. Wie viel kriegen Sie, seit die Grünen aus dem Nationalrat geflogen sind?

Kogler: Ich beziehe kein Gehalt.

STANDARD: Wovon leben Sie – von Luft und Liebe?

Kogler: Von kleineren Reserven.

STANDARD: Warum gestehen die Grünen Ihrem Chef kein Gehalt zu?

Kogler: Ich habe das von mir aus angeboten, weil kein Geld da ist – und ich denke, da muss man mit gutem Beispiel Vorangehen.

STANDARD: Wie geht es in der Führungsfrage weiter?

Kogler: Der neue Vorstand wird im Herbst gewählt. Der Karren steckt nicht mehr im Schlamm. Es wird also erfahrene und junge Kräfte brauchen, um weiter anzuziehen. Und ganz wichtig: Wir brauchen uneitle Leute! (Michael Völker, Nina Weißensteiner, 11.6.2018)