Manuel Legris und Isabelle Guérin in "Le Rendez-vous" von Roland Petit

Foto: Ashley Taylor

Wien – Die Liebe ist immer noch das ultimative Abenteuer. Eine Reise in ein Utopia der Gefühle, das im Ritterstand des Mittelalters als Hohe Minne, seit dem Aufbruch der Moderne als romantische Liebe galt. Im 21. Jahrhundert wird viel dafür getan, das Frustrationsrisiko auf dem Liebesmarkt zu mindern. Aber wenn’s drauf ankommt, kommen doch wieder alte Muster zutage. Wie diese gehäkelt sind, zeigt sich auch im Ballett.

Sehr schön zu sehen war das am Freitag in der Nurejew-Gala, die seit 2011 am Spielzeitabschluss des Wiener Staatsballetts im Opernhaus am Ring zelebriert wird. Wer diesen jedesmal anders gestalteten Abend als Leistungsschau der Compagnie genießt, kommt trotz der Überlänge von vier Stunden unter Garantie auf seine Rechnung. Die Tänzerinnen und Tänzer zeigen sich von ihren besten Seiten, und Manuel Legris, der Rudolf Nurejew seine Traumkarriere als Tänzer verdankt, konnte 2018 anlassbedingt aus dem Vollen schöpfen: Nurejew wäre dieses Jahr 80 geworden, aber auch der Geburtstag des Choreografengenies Marius Petipa jährt sich zum 200. Mal.

Hippie-Romantik

Im Mittelpunkt der Gala 2018 stand Frederick Ashtons "Marguerite and Armand", nach Alexandre Dumas’ 1848 erschienenem Roman "Die Kameliendame". Ashton hatte das Stück vor 55 Jahren für Rudolf Nurejew und Margot Fonteyn geschaffen, am Freitag tanzten die Gäste Marianela Nuñez und Vadim Muntagirov: Liebe zwischen Tugendterror und romantischem Aufbegehren – ein Thema, das bestens in die Sixties des vorigen Jahrhunderts passte, als gerade die Hippie-Romantik von der freien Liebe auf ihre Ekstase zusteuerte.

Dazu in abgründigem Verhältnis stand Petipas ebenfalls 1848 uraufgeführtes Ballett "Satanella", das noch nie in Wien gezeigt worden ist. Das Buch hinter diesem Spiel zwischen Teufel und jungem Mann, "Le Diable amoureux" (1772), stammt von Jacques Cazotte und zählt zum Urgestein der heutigen Fantasy-Literatur. In dem für die Gala ausgewählten Pas de deux "Venezianischer Karneval", das Petipa erst 1868 in sein Stück implementiert hatte, tanzten brillant Kiyoka Hashimoto und Mihail Sosnovschi zur Musik von Cesare Pugni.

Kiyoka Hashimoto und Mihail Sosnovschi in "Satanella" von Marius Petipa
Foto: Ashley Taylor

Hashimotos Interpretation des in Gestalt der schönen Biondetta auftretenden Leibhaftigen zeigte eine queere Figur, deren Zwiespältigkeit Cazotte so beschreibt: "Man konnte nicht begreifen, wie Sanftmut, Aufrichtigkeit und Naivität sich mit der Arglist vereinbarten, die aus ihren Blicken hervorstach." Es wäre wirklich spannend, einmal das gesamte Ballett zu sehen.

Ernennung zum Ehrenmitglied

Zwischen der von Ashton ins 20. Jahrhundert gezogenen Marguerite und Petipas Biondetta spannte sich der Tanz am Abgrund der romantischen Liebesspiele, die von George Balanchine – etwa in der "Valse fantaisie" (Natascha Mair, Jakob Feyferlik) oder bei "Jewels" (Olga Smirnova, Semyon Chudin) – in abstrahierte Formen verwandelt wurden. Legris selbst tanzte in Roland Petits "Le Rendez-vous" einen Mann, dem von seinem nächtlichen Flirt (Isabelle Guérin) die Kehle durchgeschnitten wird. Und von John Neumeier stammte "Opus 100", eine Hommage auf die Männerfreundschaft, für die Alexandre Riabko und Ivan Urban zu Recht Jubel ernteten.

Im Übrigen konnte sich das Publikum an den exzellenten Auftritten etwa von Nina Poláková, Maria Yakovleva, dem wiedergenesenen Davide Dato oder Olga Esina erfreuen. Nach dem Schlussapplaus wurde Manuel Legris zum Ehrenmitglied der Staatsoper ernannt, und Dominique Meyer freute sich darüber, dass die Auslastung der Ballettaufführungen von 98 Prozent mit jener bei den Opernaufführungen gleichgezogen hat. (Helmut Ploebst, 30.6.2018)